16 Erster Abschnitt: Grundlagen des Staatswesens. 86.
Beziehungen steht, ganz und gar unberührt lassen wollen. Dort beginnt ja eben das öffent-
liche Recht, dessen es sich grundsätzlich enthält.)
3. Die Verf.-Urk. § 3, nachdem sie die monarchische Natur der Regierungsform be-
kräftigt hat, fährt fort: „undes besteht dabei eine landständische Ver-
fassung“". Eine solche bestand bisher schon. Die äußerliche Zusammensetzung der
Landstände ist allerdings in der neuen Verfassung wesentlich geändert. Wichtiger ist, daß
die völlige Umwertung, die sich im Laufe der Zeit an dieser Einrichtung vollzogen hat,
jetzt in aller Form ausgesprochen und zu rechtlicher Anerkennung gebracht wird.
Die Stände stehen ja schon lange nicht mehr den begrenzten Hoheitsrechten des Fürsten
ihrerseits mit einem geschlossenen Machtkreise gegenüber. Die wichtigeren deutschen Fürsten
hatten in den letzten Zeiten des alten Reichs überall die innere Souveränität „stabiliert wie
einen rocher de bronze“. Diese alles aufsaugende Gewalt bedurfte ihrer Natur nach
keiner Ergänzung mehr durch den guten Willen von irgend jemanden. Wer in diesem
fertigen Staate außer dem Fürsten noch etwas zu sagen haben sollte, dem konnte das jetzt
folgerichtigerweise in keiner anderen Form mehr zustehen als in der eines beschränkten
Rechtes der Teilnahme an der Ausübung der vereinheitlichten Macht. Die sächsischen
Stände aber brachten in ihren Einrichtungen noch viel zu unverhohlen nur die alte
Gegensätzlichkeit von „Land“ und „Landesherr“ zum Ausdruck. Da greift denn die
Verfassung durch. In § 4 betont sie, der König besitze die ganze Fülle der Staatsgewalt,
fährt aber dann fort „und übt sie unter den durch die Verfassungfest-
gesetzten Bestimmungen aus“. Das entspricht der in §& 3 geschehenen An-
kündigung: „und es besteht dabei eine landständische Verfassung"“;
denn diese „Bestimmungen“, das sind eben die den Ständen verfassungsmäßig zu-
stehenden Mitwirkungsrechte, an welche der König bei Ausübung der Staats-
gewalt gebunden sein soll. Wie sie dadurch herangezogen werden, um mit der Regierung zu-
sammen zu arbeiten am Staate und seinen Geschäften, das hat die Verfassung mit be-
sonderer Sorgfalt geregelt. —
Damit verbindet sich noch eine Umwandlung in anderer Richtung: der Landtag nimmt
die Natur einer Volksvertretung an. Ganz neu und unvermittelt kommt auch
das nicht. Diese Versammlung von Bevorrechteten hat erklärlicherweise für ihre Sonder-
vorteile immer sehr viel Sinn gehabt; daneben regte sich aber doch schon eine Art von
staatsbürgerlichem Gewissen und das Gefühl von Verpflichtungen gegenüber den übrigen
Volksgenossen.7)
Die neue Verfassung nun gibt diesem Verhältnis, soweit das überhaupt hier möglich
ist, die feste Rechtsgestalt. „Die Stände, so erklärt Verf.-Urk. § 78, sinddas ge-
setzmäßige Organder Gesamtheitder Staatsbürgerund Unter-
6) Wie der Staat den allgemeinen Geschäftsnamen gibt für den König, allein
oder mit den Ständen, und seine Beauftragten, so ist Fiskus der besondere Geschäfts-
nam e für einen größeren Zweig dieser Geschäfte. Der König führt noch einen anderen Geschäfts-
namen, wenn es sich um seine Privatangelegenheiten handelt: dann nennt er sich „Zivilliste".
Vgl. unten § 11 Note 9.
7) Das kommt sehr deutlich zum Ausdruck in der letzten Bewilligungsschrift der alten Stände
vom 19. Juni 1830. Sie sagen dort: „Bei weitem zum kleinsten Teil ist es das Unfrige, was
wir den Bedürfnissen des Staates zum Opfer darbieten. Es ist das Vermögen, es sind die Kräfte
des Volks, an dessen Stelle wir die Bewilligung der Mittel aussprechen, welche der Staat zu seiner
Erhaltung bedarf.“ (vgl. v. Witzleben, Entstehung der konst. Verf. S. 133.)