§ 6. Das Staatsgebiet. 17
tanen und als solches berufen, deren auf der Verfassung be-
ruhende Rechte in dem durch selbige bestimmten Verhältnisse
zu der Staatsregierung geltend zu machen.“
Die Stände üben also fortan nicht mehr eigene Rechte oder Rechte besonders bevor-
rechteter in ihnen vertretener Körperschaften. Der Rechtsträger, für den durch sie gehandelt
wird, ist das Bolk, und indem sie berufen sind für dieses zu handeln, sind sie Volksver-
treter.
Die Verfassungsurkunde sagt genau, was sie unter dem Volke versteht. Das Wort ist
ja mehrdeutig. Aber hier ist nicht die geschichtliche Größe in Frage, für die der
Staat da ist, sondern die Masse der Einzelnen, in welcher sie im gegebenen Augenblicke
sich darstellt. Die Verf.-Urk. hat mit ihren „Staatsbürgern und Untertanen“ im Geiste
des Rechtes von damals die „Einwohnerschaft“, die subditi perpetui gemeint. Jetzt haben
wir darunter schlechthin die jeweiligen sächsischen Staatsangehörigen zu ver-
stehen; vgl. unten § 7, I. Die sächsischen Staatsangehörigen zusammen bilden also das
Volk, dem die „auf der Verfassung beruhenden Rechte“ zukommen. Dieses Volk wird hand-
lungsfähig durch die ihm verfassungsmäßig bestellte Vertretung, die Stände. Bei Be-
stellung dieser Vertreterschaft haben die durch das Gesetz als besonders berufen bezeichneten
Staatsangehörigen mit zu wirken, die Staatsbürger, Aktivbürger, Wäh-
ler. Sie bilden das Volk wieder in einem engeren Sinne, entsprechend dem, was der
populus Romanus sagen will: die politisch mächtige Gesamtheit.8)
Der soeben angedeutete Vergleich mag nützlich sein, um die hier zugrunde liegende
Rechtsvorstellung zu erleichtern, wonach eine solche wechselnde Menge im Sinne der
Verfassung als Trägerin von Rechten anzusehen ist. Eine juristische Person liegt ja nicht
vor. Für die privatrechtliche Anschauung enthält das große Schwierigkeiten. Aber auch
der populus Romanus hatte Rechte, ohne juristische Person zu sein, und in der heutigen
Republik ist eben diese Volksmasse der Souverän und selbstberechtigter Träger der ganzen
Staatsgewalt. In der konstitutionellen Monarchie wird der nämlichen Trägerschaft wenig-
stens ein Anteil an der Ausübung der Staatsgewalt zuerkannt. Darin besteht eben der
„Tropfen demokratischen Ols“, mit dem sie gesalbt sein soll. Um unser Verfassungsrecht
zu verstehen, müssen wir mit dem Volke als mit einem Rechtssubjekte rechnen, ob das zu
den gewohnten zivilrechtlichen Formeln paßt oder nicht. —
Auf diese Weise stehen also im Innersten der Verfassung Rechtsverhältnisse zwischen
König und Volk, die sich auf die Ausübung der Staatsgewalt beziehen. Sie werden zur
Geltung gebracht und spielen sich ab zwischen der Vertretung des Volks, den Ständen, und
dem König selbst mit seiner verantwortlichen Gehilfenschaft, der Staatsregierung.
§6. Das Staatsgebiet. Die Verfassung bedient sich nicht dieses Ausdruckes. Sie
spricht vom „unteilbaren Staat“ (5 1), „Bestandteil des Königreichs“ (5+2), Anwesenheit
„im Königreich“ (5 11), „Grenzen des Staates“ (524), Kirchengesellschaften, die „im
Königreich“ aufsgenommen sind (5 33, § 56). Hierin erscheint der Gedanke der Untrennbar-
keit des Gebietes vom Begriff Staat.1) Die Ordnung, welche wir so nennen, setzt not-
8) Bgl. über diese Dingee Jellinek, Allg. Staatslehre S. 393 ff. «
1) Die Verf.-Urk. gebraucht daneben statt des Ausdruckes „Gebiet“ vielfach den Ausdruck
„Land“ (( 5, 13 usw.). Gie aber Staat, Königreich das Gebiet, so kann Land den Staat und das
Volk bedeuten; vgl. Verf.-Urk. 3 78: „Das unzertrennliche Wohl des Königs und des Landes“.
Otto Mayer, Sächsisches Staatsrecht. 2