Sechster Abschnitt.
Die Selbstverwaltung.
§ 32. Die Gemeinden. Unter Selbstverwaltung verstehen wir Verwaltung
der öffentlichen Angelegenheiten eines abgegrenzten Teiles des Staatsgebietes, ge-
sondert von der Staatsverwaltung und zu eigenem Recht.
Die zum Zwecke der Selbstverwaltung von den Angehörigen eines Teiles des Staats-
gebietes gebildete Gemeinschaft ist ein Selbstverwaltungs körper.
Der auf örtlichem Zusammenwohnen seiner Angehörigen beruhende unterste Selbst-
verwaltungskörper ist eine Gemeinde oder Ortsgemeinde.u)
Die Gemeinden zerfallen, nach dem in Deutschland herrschenden Brauch, in Stadt-
gemeinden und Landgemeinden. Die Gesetze, welche ihre Verfassung regeln,
bezeichnen sich als Ordnungen. Grundlegend für das gegenwärtig geltende Recht
sind die Ordnungen aus der Zeit, da auch der Sächsische Staat seine neue Verfassung
erhielt. Man dachte dabei zunächst an die Städte. Bereits am 2. Februar 1832 erging
das „Gesetz, die Publikation und Einführung der allgemeinen Städteordnung
betr.“ Unterm 7. Nov. 1838 folgte dann das „Gesetz wegen der Landgemeinde-
ordnung“". Diese beiden Ordnungen bestanden im wesentlichen unverändert bis 1873.
In diesem Jahre aber erschienen gleichzeitig, unterm 24. April 1873, die drei Gesetze:
Revidierte Städteordnung, Revidierte Landgemeindeord-
nung und — neu eingeschoben — eine Städteordnung für mittlere und
kleine Städte.)
I. Im Gegensatze zu den westlichen Ländern bietet das Sächsische Gemeindeverfassungs-
recht eine überaus große Mannigfaltigkeit der Gebilde.-,) Nicht bloß,
1) In diesem Sinne behandelt L. G.-Ord. &1 das Wort „Ortschaft“ als gleichbedeutend mit
Gemeinde. Es können allerdings auch mehrere Ortschaften im Sinne einer zusammenhängenden
Gruppe von Wohnstätten zu einer Gemeinde vereinigt sein. Aber auch dann ist unter der Ort-
schaft, dem Ort im Sinne des Gesetzes stets die Gemeinde zu verstehen, es sei denn, daß eine andere
Absicht erhellt.
2) Vorher war eine Zwischenstufe vorgesehen gewesen durch das Gesetz, die Anwendung
der Landgemeindeordnung auf kleinere Städte betr., vom 7. Nov. 1838. Auch das neue Gesetz ist
im wesentlichen nichts anderes als eine Anpassung der Grundsätze der Landgemeindeordnung;
"% kuagt aber dem Selbstgefühl der mittleren und kleinen Städte Rechnung durch Vermeidung
es Namens.
3) Das war geschichtlich überliefert. Die Städte hatten ihre Verfassungen mit großer Selbst-
ständigkeit entwickelt, durch Herkommen und Statuten; der Landesherr griff nur gegen die schlimm-
sten Mißbräuche einmal ein; vgl. Häpe, in Schriften des Vereins fur Sozialpolitik 120, IV 1
S. 3 f. Die Stände meinten bei der Neuordnung dieser Dinge: „Es waltet unter den Städten