Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

86. Das Staatsgebiet. 19 
  
konvention von 1819; der 1554 den Ernestinern überlassene, nachher an das Alberti- 
nische Sachsen zurückgefallene Neustädter Kreis wurde damals zunächst an Preußen 
und von diesem wieder an Weimar abgetreten. Endlich berührt hier die Grenze noch 
die Reußischen Fürstentümer und das Königreich Bayern. Sie hat hier ihre Regelung 
gefunden gelegentlich der Teilung des Vogtlandes 1577. 
Abgesehen von den Verträgen mit Preußen und Osterreich ist die Grenzlinie nicht 
förmlich und ausdrücklich bedungen. Der tatsächliche Besitzstand ist aber durchweg fest- 
gestellt und gekennzeichnet und wird von den Verwaltungsbehörden unter Oberleitung des 
Ministeriums des Innern überwacht. 
Auch war man nur in den Verträgen mit Preußen und Osterreich darauf bedacht, alle 
Enklaven beiderseits grundsätzlich zu verhüten.") Gegenüber den thüringischen Staaten 
besteht dieses unzweckmäßige Verhältnis noch mehrfach. 
II. Die große Bedeutung, welche das Gebiet hat für den Bestand des Staates, findet 
ihren Ausdruck in den besonderen Bestimmungen, welche gegeben sind für Gebiets- 
veränderungen , insbesondere Gebietsveräußerungen. An der Spitze 
steht hier der Satz des § 1 der Verf.-Urk.: „Das Königreich Sachsen ist ein 
unter Einer Verfassung vereinigter unteilbarer Staat“. Er 
wendet sich gegen den alten Brauch der Familienteilung, den schon das Testament Herzog 
Albrechts (vgl. oben § 2 Note 1) bekämpfte. Insofern bedeutet er eine Bekräftigung des 
in Verf.-Urk.  aufgestellten Grundsatzes der Individualsukzession nach Erstgeburtsrecht. 
Der hiernach allein Berechtigte kann auch nicht im Wege freiwilligen Verzichtes einen 
widersprechenden Erfolg herbeiführen. Außerhalb des Bereiches aller Möglichkeit läge 
es deshalb nicht, weil auch die Verfassung geändert werden kann. Aber nur unter Be- 
obachtung der hierfür vorgeschriebenen Formen könnte die Regel der Unteilbarkeit selbst 
abgeschafft oder im Einzelfall durchbrochen werden.7) 
6) Hauptkonvention v. 28. Aug. 1819 Art. 1 Ziff. 30; Haupt-Grenz= u. Territorialrezeß 
v. ö. März 1848, Einl.: „um den zu möglichst vollständiger Purifikation Ihres Staatsgebietes bereits 
früher verein barten Austausch der darin enclavirten gegenseitigen Gebietsteile in Vollzug zu setzen“. 
7) Aus der verfassungsrechtlichen Unteilbarkeit des Gebietes folgt die Unmöglichkeit ab- 
weichender Thronfolgeordnungen für einzelne Teile des Gebietes. Für die Lausitz war vor der Ver- 
fassung eine solche Besonderheit anerkannt gemäß dem Prager Traditionsrezeß v. 30. Mai 1635. 
Die Lausitz würde nach Erlöschen des Albertinischen Hauses im Mannesstamm zunächst an weibliche 
Linien und sodann an die Krone Böhmen, d. h. das Haus Osterreich fallen („an Ihre Kaiserl. 
Majestät u. dero Hauses Könige zu Böheimb u. der Cron zu Böheimb“"); v. Römer, Staats--R. u. 
Statist. d. Churfürstent. Sachsen Bd. 1 S. 190, 191; Opitz, Staats-R. d. Kgr. Sachsen I S. 67, 
verwirft mit Recht die weitere Geltung dieser Bestimmungen. Die Kontrahenten, meint er, seien 
von der Voraussetzung ausgegangen, daß die staatsrechtlichen Sukzessionsgrundsätze und die Grund- 
sätze ihrer Zeit in bezug au die Teilbarkeit der Territorien dieselben bleiben würden. Diese Voraus- 
setzung träfe aber nicht zu. Allein ganz abgesehen von der Frage der Verbindlichkeit jenes Ver- 
trages, so ist eben Sachsen ein Staat, der seine eigenen Angelegenheiten selbständig ordnet, und 
wie er sie geordnet hat, ist für ihn gut geordnet und Rechtens. Wenn andere Staaten behaupten, 
in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen dadurch verletzt zu sein, so ist das eine Sache für sich. Sollte 
es einmal darauf ankommen, solche Ansprüche zurückzuweisen, so würden wohl noch andere Ein- 
wendungen zu erheben sein, als jene „stillschweigenden Voraussetzungen“. — Ebenso verhält es 
sich mit der im Traditionsrezeß von 1635 für gewisse Fälle bedungenen Wiedereinlösbarkeit der 
Lausitzum 72 Tonnen Gold. Nach sächsischem Rechte ist das kein Rechtsanspruch mehr;; sollte er 
zur Zeit der Verfassungsurkunde noch bestanden haben, so wäre er durch diese beseitigt. 
Fricker, Grundriß des Staats-R. des Kgr. Sachsen S. 97 ff., sucht auszuführen, daß durch 
die Übereinkunft mit den Oberlausitzer Ständen v. 9. Dezember 1832 die Rechte ÖOsterreichs vor- 
behalten seien auch gegenüber der von der Verfassung aufgestellten Unteilbarkeit des Gebietes. 
Es scheint mir aber nicht möglich, derartiges aus dem Texte jenes Übereinkommens herauszulesen; 
vorbehalten sind immer nur Rechte der Oberlausitzer Stände, die ja mit jener Unteilbarkeit sich 
27
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.