Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

282 Sechster Abschnitt: Die Selbstverwaltung. 32. 
  
werden die künstlich Eingezogenen doch wieder ausgeschieden. 12) Und die zahlreichen 
Einwohner der Gemeinde, welche nicht Gemeindemitglieder sind, bleiben deshalb doch 
den Ordnungen und Lasten der Gemeinde unterworfen und nehmen Teil an allen An- 
stalten und Einrichtungen, die sie bietet, ganz wie die Gemeindemitglieder.15) 
2. Aus diesen Gemeindemitgliedern wird dann wieder ein engerer Kreis heraus- 
gehoben, der durch seine Abstimmungen entscheidenden Einfluß üben soll auf die Ange- 
legenheiten der Gemeinde, der Kreis der Stimmberechtigten. Die Abstimmung 
geschieht bei ganz kleinen Gemeinden auch in der Form der Beschlußfassung einer Ge- 
meindeversammlung. Regelmäßig erscheint sie als Teilnahme an gemeind- 
lichen Wahlen; die Stimmberechtigten sind gleichbedeutend mit Wahlfähigen. Die 
Abgrenzung des Kreises der Stimmberechtigten erfolgt aber in verschiedener Weise, je 
nachdem es sich um eine Landgemeinde handelt oder um eine Stadt. 
In der Landgemeinde wird von dem Gemeindemitgliede, damit es stimm- 
berechtigt sei, an besonderen Voraussetzungen verlangt: 
— Sachsische Staatsangehörigkeit, 
— zurückgelegtes 25. Lebensjahr, 
— Ansässigkeit im Gemeindebezirke oder Wohnsitz daselbst seit wenigstens 2 Jahren.14) 
12) Die Forensen sind ausgeschlossen von der Wählbarkeit (Rev. St.-Ord. § 46, L. G.-Ord. 
8 37), die juristischen Personen in den Landgemeinden schon vom Stimmrecht (L.G.-Ord. 8 34 
Abs. 2); in den Städten wird ihnen noch vorher der Weg zum Erwerb des Bürgerrechts versperrt 
(Rev. St.-Ord. § 20 Abs. 2). 
13) Die Heranziehung der Unselbständigen zu Gemeindeleistungen erfordert nur einen be- 
sondern Beschluß der Gemeinde: Rev. St.-Ord § 26; L.G.-Ord. 5 17. — Die eigentümliche Unter- 
scheidung von Einwohnern und Gemeindemitgliedern erklärt sich geschichtlich. Die älteren Städte- 
ordnungen kannten zwischen den Bürgern und den nur tatsächlich im Gemeindegebiet sich Auf- 
haltenden noch die Schutz verwandten mit dem Rechte der selbständigen Niederlassung. 
Dieses Recht erwarb man als Angehöriger eines Bürgers, Schutzverwandten oder sonst Heimats- 
berechtigten von selbst mit dem Eintritt der rechtlichen und tatsächlichen Fähigkeit selbständiger 
Wirtschaftsführung; andere, Fremde, konnten es unter dieser Voraussetzung erwerben durch Auf- 
nahme, die der Stadtrat erteilte (St.-Ord. von 1832 § 19, §20). Vermöge dieser besonderen recht- 
lichen Zugehörigkeit zur Stadt, schlossen sich die Schutzverwandten mit den Bürgern zusammen 
zu einem engeren Kreis, wie Bürger zweiter Klasse. Die St.-Ord. von 1832 §5 11 bildet dann aus 
beiden zusammen die Gemeindemitgliedschaft: „Jedes Mitglied der Stadtgemeinde ist entweder 
Bürger oder Schutzverwandter.“ Die ganze Abgrenzung, auf welche die Stände noch großen Wert 
gelegt hatten (Landt.-Akten 1831 Bd. 4 S. 1988), verlor aber ihren ursprünglichen Sinn durch 
die im Heimatsges. vom 26. Nov. 1834 §.17 eingeführte Freizügigkeit, wonach keinem Sächs. Staats- 
angehörigen „die Aufnahme und die Erlaubnis zur Ndelasfeng" versagt werden durfte, es sei 
denn, daß besondere Abweisungsgründe vorlagen. Folgerichtig bestimmte das Ges. in § 29, daß 
der Satz der St.-Ord. § 20: „Einheimische bedürfen der Aufnahme als Schutzverwandte nicht“, 
fortan gelte „von jedem im Gemeindebezirke sich bleibend aufhaltenden selbständigen Einwohner.“ 
Also wurde man fortan „Mitglied der Stadtgemeinde“ ohne allen Rechtstitel der Abstammung oder 
Aufnahme, durch den Wohnsitz allein — so hätte man weiter folgern können. Man hat es vor- 
gezogen, sich die Sache anders zurechtzulegen und die alte Sonderstellung der Gemeindemitglieder 
gegenüber den tatsächlichen Einwohnern der Gemeinde noch weiter zu betonen. Der Name Schutz- 
verwandte ist aufgegeben, die Rechtstitel dafür sind erlassen, geblieben aber ist doch wenigstens die 
Voraussetzung, unter der sie wirkten und unter der auch jetzt noch die Gemeindemitgliedschaft erst 
zur höheren Stufe der Stimmberechtigung führt: die Selbständigkeit. Und so gelangte man zu dem 
Satze: Gemeindemitglieder sind nur die selbständigen Einwohner. Die L. G.-Ord. von 1838 §54 hat 
ihn sofort übernommen. Die Gemeindeordnungen von 1873 haben ihn dann allgemein durchgeführt. 
14) L. G.-Ord. § 34. Das Gesetz verlangt „wesentlichen“" Wohnsitz. Das ist zu verstehen „im 
Gegensatz zu den Inhabern bloßer Sommer= oder Winterwohnungen oder sog. Absteigequartiere"“ 
(Häpe, a. a. O. S. 14), also im Gegensatze zu einem Verhältnisse, das einen wirklichen Wohn- 
sitz überhaupt nicht wohl vorstellen wird. Damit stimmt überein O. V. G. 14. Jan. 1904 (Jahrb. V. 
S. 171), wonach der Zusatz „wesentlich" keine Verschärfung des Begriffes bedeutet, auch nicht 
im Sinne von „hauptsächlich“; man wird also solcher „wesentlicher Wohnsitze“ mehrere neben- 
einander haben können.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.