284 Sechster Abschnitt: Die Selbstverwaltung. g 32.
Die Verleihung des Bürgerrechts erfolgt durch Zufertigung des vom Stadtrat aus-
gestellten „Scheins“. Vorher hat der Aufzunehmende mittels Handschlags zu geloben,
„die ihm als Bürger obliegenden Pflichten treu zu erfüllen, der Obrigkeit gehorsam zu
sein und der Stadt Bestes nach Kräften zu fördern.“20) Ohne dieses Handgelöbnis wird
die nachgesuchte Verleihung verweigert; soll die Erwerbung des Bürgerrechts erzwungen
werden, so erscheint das Verwaltungszwangsverfahren bei der Herbeiführung dieses
Gelöbnisses; die Verleihung hat überall die gleiche Gestalt.
Das erworbene Bürgerrecht bedeutet ein personenrechtliches Verhältnis, welches
nicht von selbst wieder dahinfällt, wenn die Voraussetzungen seiner Entstehung nicht mehr
gegeben oder Gründe entstanden sind, welche von seiner Erwerbung ausgeschlossen hätten.
Es geht nur verloren:21)
— durch Aufgabe des Wohnsitzes; länger als zwei Jahre dauernde frei-
willige Abwesenheit gilt als solche. Das Bürgerrecht bleibt aber trotz des Wegzuges be-
stehen, wenn Grundbesitz oder gewerbliche Niederlassung in der Gemeinde beibehalten wird.
— durch Verzichtserklärung; selbstverständlich nur zulässig, soweit keine
Pflicht zum Erwerbe des Bürgerrechts besteht. —
Der Besitz des Bürgerrechts ist die Voraussetzung der Stimmberechtigung.
Aber nicht jedermann ist stimmberechtigt, der das Bürgerrecht besitzt, sondern nur:
— Bürger männlichen Geschlechts, und
— gegen welche zur Zeit, da das Stimmrecht ausgeübt werden soll, einer der be-
sonderen Ausschlußgründe nicht vorliegt, die auch in den Landgemeinden die
Teilnahme an der Wahl verbieten: in den letzten zwei Jahren empfangene Armenunter-
stützung usw.2)
III. Die verfassungsmäßige Ordnung der Trägerschaft der
Gemeindege walt hat zum gemeinsamen Grundzug eine der Staatsverfassung
wenigstens äußerlich entsprechende Zweiteilung: Ortsobrigkeit und Gemeinde-
vertretung werden unterschieden. Erstere ist die Regierung der Gemeinde, berufen
in ihrem Namen nach außen zu handeln und ihren Angelegenheiten die einheitliche Leitung
zu geben. Letztere dagegen ist die Vertretung des Gemeindevolkes, um die Obrigkeit selbst
in dessen Namen zu bestellen und sie durch ihre Mitwirkungs= und Überwachungsrechte
verfassungsmäßig zu beschränken.5) ·
Diese Grundidee hat ihre kräftigste Ausprägung erhalten in der Rev. St.-Ord. Alle
anderen Verfassungen stellen sich dem gegenüber dar als stufenweise zunehmende Ver-
einfachungen und, im Zusammenhange damit, Vermengungen jener beiden Elemente.
1. Bei den Städten der Rev. St.-Ord. finden sich Regierung und Volksvertretung
deutlich getrennt in Stadtrat und Stadtverordneten.
20) Rev. St.-Ord. § 16. Früher wurde bei dieser Gelegenheit auch die Ableistung des Unter-
taneneides gefordert; das ist nicht mehr statthaft: O. V.G. 22. Juli 1903 (Jahrb. IV S. 135).
21) Rev. St.-Ord. F 24.
22) Die Aufzählung in Rev. St.-Ord. § 44 entspricht der in L.G.-Ord. s 35. Entziehung
des Stimmrechts wegen Nichterfüllung der Bürgerpflicht vgl. unten Note 29.
23) Dabei ist der Doppelsinn zu beachten, in welchem von „Vertretung der Gemeinde“ die
Rede ist. Dem Stadtrat steht zu die Vertretung der Gemeinde als des Gemeinwesens, der juristi-
schen Person des öffentlichen Rechts (Rev. St.-Ord. § 98), den Stadtverordneten steht zu die Ver-
tretung der Stadtgemeinde (Rev. St.-Ord. # 67) als der Gesamtheit der Gemeindemitglieder,
des Gemeindevolkes.