Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

20 Erster Abschnitt: Grundlagen des Staatswesens. 86. 
  
Die Unteilbarkeitsbestimmung bedeutet eine Gebundenheit der Krone den Ständen 
gegenüber. Sie ist sachlich altes Recht. Schon die alten Stände hatten sich Reversalien 
darüber erteilen lassen, daß ohne ihre Einwilligung keine Zergliederung des Landes statt- 
finden solle. Ihr Interesse lag darin, daß die Mitträgerschaft der Staatslasten nicht ver- 
ändert werde. Deshalb erstreckte sich ihr Verbotsrecht auf alles, was diesen Erfolg 
haben konnte, auch auf feräußerungen und Verpfändungen von Gebiets- 
stücken, abgesehen von Erbteilungsfällen.3) Die Verf.-Urk. § 2 bewahrt diese Ordnung, 
indem sie verfügt: „Kein Bestandteil des Königreichs kannohne Zu- 
stimmung der Stände auf irgend eine Weise veräußert werden.“ 
Die Formen der Verfassungsänderung sind hierfür nicht notwendig. Die Unveräußerlich- 
keit des Gebietes ist kein Verfassungsgrundsatz, wie die Unteilbarkeit es ist. Die ver- 
schiedene Behandlung hat ihren einleuchtenden, geschichtlichen und praktischen Grund. 
Die Verf.-Urk. &J 2 Abs. 2 unterscheidet von solcher Veräußerung die bloße „Grenz- 
berichtigung mit benachbarten Staatené“. Sie kann auch ohne Zustim- 
mung der Stände geschehen, „wenn nicht dabei Untertanen abgetreten 
werden, welche unzweifelhaft zu dem Königreiche gehört haben“. 
Diese Bedingung bestimmt zugleich den Umfang des Begriffes Grenzberichtigung. Eine solche 
setzt von selbst voraus eine Verbesserung der Grenze; die kann aber vom sächsischen Stand- 
punkte aus nicht wohl in einem einseitigen Verzicht auf sächsische Gebietsstreifen gesehen 
werden; eine gewisse Gegenseitigkeit, ein Tausch gehört dazu. Überdies gehört aber zu 
einer befreiten Grenzberichtigung im Sinne der Verf.-Urk., daß es sich nur darum handelt, 
unbewohntes Gelände aufzugeben. Sobald Wohnstätten in Frage kommen, würde es 
sich im Sinne der Verf.-Urk. um Abtretung von Untertanen handeln. Ob diese „un- 
zweifelhaft zum Königreich gehören“" oder nicht, ist eine Frage, die von der Regierung 
besser nicht eigenmächtig gelöst, sondern durch eine Vorlage an die Stände erledigt wird.) 
Das frühere Recht hatte das Land wie eine Art Hausvermögen der landesherrlichen 
wohl vertragen. — Sodann meint Fricker: Osterreich habe erst im Prager Frieden von 1866 auf 
sein eventuelles Recht auf die Oberlausitz verzichtet. An diesem Vertrage war Sachsen überhaupt 
nicht beteiligt. Preußen hätte wohl ein Einspruchsrecht erworben gegen die Geltendmachung 
österreichischer Ansprüche auf die Oberlausitz; aber das ist eben eine Sache für sich. — Das Schluß- 
ergebnis Frickers (S. 100): daß gleichwohl im Falle eines Erlöschens des Königlichen Mannes- 
stammes die Thronfolge eine andere für die Lausitz und eine andere für die Erblande sein würde, 
dürfte dem Geiste wie dem Wortlaute des Verfassungsrechtes des Königreichs gleichmäßig wider- 
sprechen. 
Auch die Monographie von Deumer, der rechtliche Anspruch Böhmen-Osterreichs auf 
das kgl. sächsische Markgrafentum Oberlausitz 1884, zeigt die Neigung, rechtliche Schwierigkeiten 
zu finden, wo für ein selbstbewußtes Staatsganzes keine sind. 
8) v. Römer, St. R. u. Statistik 1 S. 270 ff. „Die Veräußerung des ganzen Landes- 
körpers“ können die Stände durch ihren Widerspruch nicht behindern, wohl aber alle „Zerstücke- 
lungen“; denn dadurch „werden sie in ihren Rechten verletzt, wenn durch Abreißung einiger Per- 
tinenzstücke das Land geschwächt und die Oblasten gemehrt werden“. — Vgl. auch die ausdrück- 
lichen Reversalien bei Weiße, Staats-R. I S. 117 Note 4. 
9) Anders Opitz, Staats-R. 1 S. 74, der von Grenzberichtigung nur sprechen lassen will, wo 
wirklich zweifelhafte Grenzen vorliegen. Er stützt sich allerdings auf Zachariae, Deutsch. Staats- 
u. Bundes-R. II S. 208. Aber der Wortlaut der Sächs. Verf.-Urk. gibt zu erkennen, daß auch 
unzweifelhaftes Gebiet zum Zwecke der Grenzberichtigung abgetreten werden kann, wenn nur 
keine unzweifelhaften Untertanen mitgehen. Damit ist die leichtere Form der Grenzberichtigung 
auch zulässig gemacht für zweckmäßige Gestaltung des bestehenden Verlaufs der Grenze. In diesem 
Sinne werden auch die Bestimmungen der Bayrischen Verf., Tit. III 86, Ziff. 2, über „Grenz- 
berichtigung mit benachbarten Staaten“ ausgelegt; Seydel, Bayr. St. R. I S. 338: „wenn 
es sich um Erledigung nachbarlicher Grenzstreitigkeiten und um Grenzregelungen zur Herstellung 
eines zweckmäßigen Grenzlaufs handelt“.
	        
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