Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

290 Sechster Abschnitt: Die Selbstverwaltung. 8 
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2. Die Angelegenheiten der Gemeinden gehen zugleich den Staat an. Deshalb 
nimmt er durch seine Verwaltungsbehörden in gewissem Maße daran Anteil. Da die 
Gemeinde ein Gemeinwesen für sich darstellt und nicht eine der Regierung schlechthin 
zur Verfügung stehende Einrichtung, so geht dieser Anteil gerade nur so weit, als das 
Gesetz es bestimmt und einen Rechtstitel für die Einwirkungen der staatlichen Behörden 
abgibt. 
In diesem Sinne ist den staatlichen Verwaltungsbehörden vor allem Macht gegeben 
über die Vorstandschaft der Gemeinden: die Wahlen des Bürgermeisters oder 
Gemeindevorstandes und ihrer Stellvertreter bedürfen der Bestätigung:;“) alle Mit- 
glieder der Gemeindeobrigkeit (Bürgermeister, Stadträte, Gemeindevorstände, Gemeinde- 
alteste) stehen unter der Disziplinargewalt der staatlichen Behörde; 55) das Ministerium 
kann die Städtverordneten, wie auch die Gemeinderäte für aufgelöst erklären. 56) 
In gewissem Maße nehmen die Staatsbehörden auch direkt teil an der für die Ge- 
meinde auszuübenden Tätigkeit. Die Gesetze bezeichnen das als die Oberaufsicht 
des Staates.b6') Die Staatsbehörde, welche ordentlicherweise dazu berufen ist, 
heißt die Aufsichtsbehörde. Als solche gilt für die Städte mit Rev. St.-Ord. der 
Kreishauptmann, für die übrigen Gemeinden der Amtshauptmann. In den vom Gesetz 
besonders bezeichneten Fällen entscheidet unter ihrem Vorsitz der Kreisausschuß oder 
Bezirksausschuß.ös) 
Kraft des Oberaufsichtsrechtes ist die Behörde jederzeit befugt, vorzugehen gegen Ge- 
setzesverletzung und Überschreitung der Befugnisse, zum Schutze der Erhaltung und be- 
stimmungsgemäßen Verwendung des Stammvermögens und zur Regelung des gemeind- 
lichen Schuldenwesens. 5°5) Zu diesem Zwecke kann sie die von der Gemeinde getroffenen 
Anordnungen für ungültig erklären, selbst bestimmen, was zur Herstellung des gesetz- 
mäßigen Zustandes zu geschehen hat, und sich der verantwortlichen Gemeindeobrigkeit 
gegenüber der ihr zustehenden Verwaltungszwangsmittel bedienen. 50) 
Außerdem und über diese allgemeinen Befugnisse hinaus ist der Aufsichtsbehörde 
insbesondere noch zugeteilt: 
54) Rev. St.-Ord. §8 92; L. G.-Ord. & 61. Die besondere Rücksicht auf die Ausübung der Orts- 
polizei spielt hier herein; vgl. unten V. 
55) Rev. St.-Ord. 85 95, 396; das Ministerium ist die oberste Dienstbehörde der Ratsmitglieder. 
St.-Ord. f. mittl. u. kl. St. & 17. L.G.-Ord. F 80. 
56) Rev. St.-Ord. § 82; L.G.-Ord. s 80. 
57) Rev. St.-Ord. § 131 ff.; L.G.-Ord. § 93 ff. Warum Ober aussicht? Es scheint hier die 
alte Anschaung hereinzuspielen, wonach die Vorstände der Gemeinde die Vormünder dieses minder. 
jährigen Wesens sind und die staatliche Behörde ihnen gegenüber die Obervormundschaft übt. Ge- 
meindetutel, Gemeindekuratel waren ja lange die üblichen Bezeichnungen. 
58)0) Rev. St.-Ord. 5J 132; L. G.-Ord. §94. — Von den Städten mit Rev. St.-Ord., die dem- 
nach der Amtshauptmannschaft nicht unterstehen, sind fünf zugleich exemt gegenüber der 
Amtshauptmannschaft (oben § 30 Note 20). Das macht also einen Unterschied nur in bezug auf 
wessbn ihnen zu besorgenden Angelegenheiten, nicht in bezug auf die über sie zu führende 
ussicht. 
59) Rev. St.-Ord. § 131 und L. G.-Ord. § 93 heben diese Dinge mit „namentlich“ hervor „außer“ 
der Aufsicht über die Gesetzlichkeit. Daraus darf natürlich nicht gefolgert werden, daß die Oberauf- 
sicht noch ungezählte andere Befugnisse in sich schlösse, welche die Aufsichtsbehörde nach Gutbefinden 
nur zu entfalten hätte; das würde ja überhaupt keine Rechtsordnung bedeuten, auf die es doch ab- 
gesehen ist. Das „namentlich“" soll hier nur allgemein die wichtigsten Machtbefugnisse der Aufsichts- 
ehörde einführen im Gegensatz zu den außerdem noch durch besondere gesetzliche Bestimmungen 
begründeten. Andere gibt es nicht. 
60) A-Ges. vom 28. Jan. 1835 KP 2 Ziff. 1.
	        
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