Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

5 32. Die Gemeinden. 293 
  
Fällen wird die Verordnung alsbald auch dem Amtshauptmann abschriftlich vor- 
gelegt.7?5) 
Die ganze Ortspolizeiverwaltung der Gemeindeobrigkeit steht unter Aufsicht 
der staatlichen Behörden, bei Städten Rev. St.-Ord. der Kreishauptmannschaft, bei den 
übrigen Gemeinden der Amtshauptmannschaft. Die Gemeindeobrigkeiten sind in diesen, 
wie in allen übrigen Dingen, für welche sie als „das örtliche Organ der Staats= und Be- 
zirksverwaltung“ dienen, schlechthin die unteren Verwaltungsbehörden. 
Die Aufsichtsbehörden werden hier einfach vorgesetzte Behörden. Die von 
ihnen geübte Aufsicht unterscheidet sich wesentlich von der Oberaufsicht in eigentlichen 
Gemeindeangelegenheiten. Denn sie beschränkt sich nicht auf die vom Gesetze besonders 
ermächtigten Einflußnahmen auf das Gebiet der Selbstverwaltung, sondern die ganze 
amtliche Tätigkeit wird von der staatlichen Behörde beherrscht und geleitet durch Dienst- 
befehl und Abänderungsgewalt. Die Unterordnungsverhältnisse innerhalb des Aufbaues 
der staatlichen Behördenordnung geben Vorbild und Maßstab.7“) 
73) St.-Ord. f. mittl. u. kl. St. 3 8 Abs. 3; L.G.-Ord. § 70 Abs. 3. Hier ist also nicht bloß die 
Gemeindeobrigkeit an der Ausübung der Ortspolizei beteiligt, sondern auch die Gemeindevertre- 
tung zugezogen. 
Es muß bemerkt werden, daß die Fachausdrücke für die allgemeinen Anordnungen der Ge- 
meindebehörden sehr verwahrlost sind. Die Bezeichnungen Ortsstatut, Regulativ, Vorschriften, 
Ordnung usw. Ppflegen ziemlich planlos durcheinander zu laufen. Man werfe nur einen Blick auf 
das Inhaltsverzeichnis der Sammlung der „Ortsgesetze der Stadt Leipzig"“! Es muß gefordert 
werden, daß der Unterschied klar bleibt zwischen solchen Anordnungen, die Rechtssätze enthalten, 
und solchen die bloß Dienstvorschriften, Anstaltsordnungen, Geschäftsordnungen bedeuten. Die 
ersteren sind Ortsgesetze oder Ortsstatuten, wenn sie erlassen sind in eignen An- 
gelegenheiten der Gemeinde, Polizeiverordnungen, wenn sie die vom Staate der Ge- 
meindeobrigkeit geliehene Ortspolizei betreffen. Die anderen mag man unter dem Namen ge- 
meindliche Verwaltungsvorschriften zusammenfassen; wenn das häßliche Wort 
Regulativ durchaus untergebracht werden muß, kann es hier noch am ersten Platz finden. Der 
jetzige Zustand, wo es für alles verwendbar zu sein scheint, ist sehr unerfreulich. 
74) Vgl. oben § 28, II Nr. 2 u. 3; 530, III.— Mit Rücksicht auf die große rechtliche Verschieden- 
heit der zweierlei Sachen, die hier von ein und derselben Stelle besorgt werden, eigentliche Ge- 
meindeangelegenheiten und übertragene Landesverwaltung, spricht O. V. G. 11. Febr. 1903 (Jahrb. 
III S. 231) von der „jeder Stadtvertretung innewohnenden Doppelnatur der Stellung“; einer- 
seits sei sie „Behörde"“, anderseits „Vertreter der Stadtgemeinde“ (wobei allerdings zu bemerken 
wäre, daß behördliche Eigenschaft auch auf dieser zweiten Seite entwickelt werden kann, nur eben 
nicht namens des Staates, sondern namens der Gemeinde). Der Unterschied wird namentlich 
auch bedeutsam im Instanzenzug für die einzulegenden Rechtsmittel und das Rechtsverfahren. 
Handelt es sich um den übertragenen Wirkungskreis, also vor allem um Ortspolizei, so steht die 
Gemeinde dem gegenüber wie ein Privatmann, der behördliche Akt ist nicht ihr Akt: O. V. G. 
2. Sept. 1903 (Jahrb. IV S. 347): Baugesuch, der Stadtrat verweigert die baupolizeiliche Ge- 
nehmigung, auf Rekurs hebt die Kreishauptmannschaft diese Entscheidung auf, Anfechtungsklage 
der Stadt wird als unzulässig abgewiesen; „die Stadt ist nicht beteiligt im Sinne von §+ 73 Verw. 
R.Pfl. Ges.“" vom Stadtrat aber gilt: „Unterbehörden als solche sind nicht zur Erhebung der 
Anfechtungsklage berechtigt“ (O. V.G. 6. Juli 1901; Jahrb. S. 52, S. 56). 
In eigentlichen Gemeindesachen dagegen kann die Gemeinde selbst Partei werden. Das wird 
verschiedene Gestalt annehmen, je nachdem sie obrigkeitlicherweise (durch eine behördliche An- 
ordnung) aufgetreten ist oder nicht. 
O. V. G. 26. Sept. 1903 (Jahrb. V S. 36): Eine gemeindliche Schleusenanlage ist in schlechtem 
Stand und entzieht einer Privatwasserleitung das Wasser. Der Beschädigte ruft das Einschreiten 
der Amtshauptmannschaft an und, von dieser zurückgewiesen, die Kreishauptmannschaft, die ihm 
willfahrt. Die Gemeinde kann Anfechtungsklage erheben, damit nachgeprüft werde, ob die zweit- 
instanzliche Verfügung der Kreishauptmannschaft „nicht einen gesetzlich unzulässigen Eingriff in 
das Selbstverwaltungsrecht enthalte“. 
O. V. G. 27. Nov. 1904 (Jahrb. VI S. 214): Der Gemeindevorstand setzt eine Besitzverände- 
rungsabgabe fest; der „Abforderungsbeschluß“ ist „erstinstanzliche Entscheidung“. Die Gemeinde 
kann aber im weiteren Verfahren als Beteiligte und als Partei auftreten. So in O. V. G. 23. März 
1904 (Jahrb. V S. 198): Die Stadt läßt Fleischproben behufs Trichinenschau entnehmen und ver-
	        
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