5 33. Selbständige Gutsbezirke und Gemeindeverbände. 295
Erscheinung gebracht.3) Diese Sitze eines lebhaften landwirtschaftlichen Betriebes mit
einer nachbarlich zusammenwohnenden Bevölkerung können die Ordnungen und Ein-
richtungen, wie die Gemeinde sie bietet, nicht entbehren. Das Besondere ist, daß sie gleich-
wohl außerhalb des ordentlichen Gemeindeverbandes verbleiben und der Ersatz für die
Gemeinde hier geliefert wird, nicht durch den unmittelbar wirkenden Staat, sondern
durch den Besitzerdes Gutes. Dieser Privatmann, denn das ist er, steht also dem
Staate gegenüber wie die Gemeinde: er führt ein Stück öffentlicher Verwaltung, kraft
eigenen Rechts, Selbstverwaltungsrechts, und ist wie die Gemeinde zur guten Besorgung
dieser Geschäfte zugleich dem Staate verpflichtet. Der Staat macht ihm gegenüber diese
Pflicht geltend, wie gegenüber der Gemeinde, in Form seiner Aufsichtsgewalt über die
Selbstverwaltung.") Diese Art Selbstverwaltungsrecht kann auch mit anderen Gütern
als mit eigentlichen Rittergütern verbunden sein, — soweit das für das einzelne Gut ge-
schichtlich so geworden und hergebracht ist, läßt das Gesetz es dabei bewenden.ö5) Wenn
Kammergüter gleichfalls so behandelt werden und sonstige Staatsgüter, so bedeutet das
nur eine Übertragung der äußeren Rechtsform auf die Art, wie der Staat selbst solche
Dinge besorgen soll: der „Fiskus“ ist dann Gutsherr unter der Aufsicht des „Staates"“.#)
Das Sächsische Recht faßt auf diese Weise unter den Regeln für den „selbständigen
Gutsbezirk“ alle „abgesonderten Gemarkungen“ einheitlich zusammen.?) Das Ritter-
gut war aber bestimmend für die Rechtsgestalt, die das alles erhalten hat.
1. Die selbständigen Gutsbezirke haben ihre Regelung in der Landgemeindeordnung
erhalten; sie bilden zu den Landgemeinden das gleichwertige Gegenstück.) Als
man nach Einführung der Verfassung an die Neugestaltung des Rechtes der Ortsgemeinden
ging, fand man diese Sonderstellung der Rittergüter und ähnlicher Komplexe bereits
vor. Das Verhältnis zu den daneben stehenden Bauerschaften war aber keineswegs das
3) Vgl. oben §& 8, II. Außer in Sachsen findet sich diese Einrichtung vor allem in Preußen.
Bgl. die Ubersicht in dem Art. „Gutebezirke“ bei v. Bitter, Handwörterb. der Preuß. Ver-
waltung 1 S. 753 ff., wo deutlich zu ersehen ist, wie das Institut von der Elbe ab nach Westen und
Süden zu allmählich seltener wird und verschwindet.
4) Laband, Staats-R. (1. Aufl.) I S. 102;: „Patrimonialgerichtsbarkeit und gutsherr-
liche Polizei sind nicht, wie man gewöhnlich sagt, der Gegensatz der Selbstverwaltung, sondern
eine Betätigung, eine Form derselben; aber allerdings eine Form, die im Widerspruch steht mit
den Prinzipien des heutigen Staatsrechts und den sein ganzes Wesen beherrschenden Ideen.“
Laband sieht darin eine „monarchische“ Bildung der Selbstverwaltung. Von der dritten Auflage
ab sind diese Ausführungen weggeblieben, aber offenbar nur aus äußerlichen Gründen.
5) L. G.-Ord. § 82 d: „welche seither in gleichem Verhältnisse zur Gemeinde gestan-
den haben.“ Ebenso war schon die erste L.G.-Ord. vom 7. Nov. 1638 verfahren (§ 20 Ziff. 5). Ob
die Voraussetzungen zutreffen, entscheidet sich im Streitfalle auf dem Verwaltungswege (v. Bosse,
Komment. z. L.G.-Ord. S. 191 Note 2).
6) In Wahrheit wird natürlich auch diese Verwaltung in Dienst und Pflicht des Staates be-
sorgt. Nur sind das Geschäfte, die der Staat gewöhnlich nicht selbst besorgen läßt, und das in erster
Linie zu wirtschaftlichen Zwecken angestellte Beamtentum besorgt sie nebenher. So z. B. tun dies
innerhalb der Bezirke der Staatswaldungen die Vorstände der einzelnen Forstreviere. — Wegen
der Königlichen Schlösser sieht § 84 Abs. 3 besondere Bestimmungen vor. Im selbständigen Guts-
bezirk „Kaserne Möckern" (vgl. oben § 8 Note 33) wird der Reichsfiskus zu diesem Zwecke von einem
Militärbeamten vertreten.
7) v. Bosse, Komment. z. L.G.-Ord. S. 191 Note 4, zählt auf: 13 Kammergüter, 920 Ritter-
güter, 240 sonstige exemte Güter. Die Zahl der selbständigen Rittergüter stimmt nicht mit den
oben § 8 Note 47 angeführten der Rittergüter überhaupt (949), weil es Rittergüter gibt, die ihre
Selbständigkeit verloren haben, ohne im übrigen aufzuhören, Rittergüter zu sein: Fischers Ztschft.
XII S. 47.
8) L. G.-Ord. §#§# 82—88. Die Rev. St.-Ord. &§ 7 Abs. 1 verweist einfach auf diese Bestimmungen
wegen der „im Orte gelegenen“ selbständigen Gutsbezirke.