z 6. Das Staatsgebiet. 23
Gebiet trifft, stände dann die zweite: inwiefern kann das Reich selbst solche Ver-
fügung treffen. Die Antwort darauf muß aber kurzweg lauten: überhaupt nicht. Das
Gebiet gehört dem Einzelstaat und nicht dem Reich, mag dieses auch vertrags= und ver-
fassungsmäßig für den Umfang eben dieses Gebietes gewisse Zuständigkeiten auszuüben
haben. Dieser Zuständigkeit gegenüber ist eben das Staatsgebiet zugleich Bundesgebiet
(Reichs-Verf. & 1). Aber Bundesrechte gegenüber dem Bundesstaate lassen sich nicht auf
einen Dritten übertragen. Das widerstreitet ihrer Natur. Das alte Reich konnte wohl
im Westfälischen Frieden seine Rechte gegenüber den elsässischen Städten und Territorien
auf Frankreich übertragen; es war eben kein Bund, sondern ein verfallender Staat. Man
hat dem heutigen Reiche ausnahmsweise die Zuständigkeit zur Abtretung von Gebiet eines
Bundesstaates zuerkennen wollen für den Fall eines Friedensschlusses. Eine formelle Stütze
soll Reichs-Verf. Art. 11 gewähren, wonach der Kaiser das Recht hat, im Namen der Reichs
Frieden zu schließen. Also, sagt man, muß er auch die etwa notwendig gewordenen Ge-
bietsabtretungen vornehmen können.15) Der Schluß ist falsch. Der Art. 11 grenzt nur die
Rechte des Präsidiums bei Vertretung des Reichs ab. Welche Gewalt dem Reiche gegen-
über den Bundesstaaten und ihren Angelegenheiten zukommt, will er gar nicht bestimmen.
Mit jener Art zu folgern, könnte man dem Kaiser auch das Recht zusprechen, zur Erzielung
des Friedens die von einem kunstliebenden Feinde gewünschten Dresdener Sammlungen
abzutreten. Wenn das Unglück Deutschland in eine derartige Lage brächte, würde es
Sache des Reiches sein, den betroffenen Bundesstaat zur Abtretung zu vermögen, schlimm-
sten Falles würde sich alles wenigstens tatsächlich erledigen dadurch, daß das Reich außer-
stande wäre, seine Pflicht zur bewaffneten Verteidigung des fraglichen Gebietes weiter zu
erfüllen und die Besitzergreifung des Feindes zu verhindern. Aber vorgesehen hat man
dergleichen lieber nicht, und es erscheint auch nicht angebracht, durch gewagte Interpreta-
tionen eine Aushilfe schaffen zu wollen, die weiterführen könnte, als man übersieht.
III. Eine Gebietsveränderung kann auch in der entgegengesetzten Richtung sich voll-
ziehen, als Gebietserwerbung.
Eine solche wird sich regelmäßig mit der ein fachen Grenzberichtigung
verbinden. Dann vollzieht sie sich mit dieser ohne weitere Formen durch den Willen der
Regierung allein. Zu bemerken ist aber doch noch folgendes. Die sächsische Verfassung
und das sächsische Gesetz gelten selbstverständlich auch in einem unbewohnten Gebiets-
stüc. Wie der fremde Staat, an den dieses durch die Grenzberichtigung kommt, es damit
halten will, ist seine Sache. Will er das sächsische Recht dort fortgelten lassen, so haben wir
nichts drein zu reden. Aber das dabei an Sachsen fallende Stück erlebt jedenfalls die be-
deutsame Wandlung, daß die sächsische Verfassung und das sächsische Gesetz von selbst dort
in Kraft treten. Die vollzogene Grenzberichtigung hat erklärende Natur; das Erworbene
wird behandelt, als wäre es schon immer diesseits der Grenze gelegen gewesen. Es
bedarf keines Einführungsgesetzes.
Dieser Punkt wird erst von Wichtigkeit, wenn es sich handelt um eine eigent-
15) Laband, Staats-R. des Deutsch. Reichs I S. 182 und die dort Note 2 angeführte Lite-
ratur. Seydel, Komm. z. Reichs-Verf. S. 35, bestreitet dem Reich das Abtretungsrecht, wie
Laband meint, ganz folgerichtig, weil er auch „die Gebietshoheit des Reiches bestreitet.“ Aber
wer das Reich für den deutschen Oberstaat ansieht und ihm „die Gebietshoheit“ zuerkennt, der hätte
eigentlich die Berufung auf Art. 11 der Reichs-Verf. nicht einmal nötig. Das souveräne Reich
müßte auch im Frieden über sein d. h. seiner Angehörigen Gebiet verfügen können.