24 Erster Abschnitt: Grundlagen des Staatswesens. 8 6.
liche Gebietserwerbung, durch welche also „neue Untertanen“ gewonnen
werden sollen. Die Verf.-Urk. enthält für diesen Fall keine Bestimmungen. Was ist
Rechtens? Der König vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt; er kann auch neue
Gebiete für den Staat erwerben. Er kann aber nicht für sich allein die sächsische Ver-
fassung und das sächsische Recht ausdehnen auf ein Gebiet, für welches sie bisher nicht
galten. Dazu gehört ein verfassungänderndes Gesetz. Da zur Gebietsveräußerung nach
Verf.-Urk. § 2 einfache Zustimmung der Stände genügt, so scheint tatsächlich der Erwerb
an verhältnismäßig schwerere Bedingungen geknüpft zu sein, als diese. Aber man darf
nicht übersehen, daß der Erwerb selbst sich durch den Willen des Königs allein wohl voll-
zieht. Nur wird das Erworbene statt Bestandteil des unter einer Verfassung vereinigten
Königreichs ein Nebenland desselben, wie Lauenburg ein Nebenland Preußens geworden
war durch den Wiener Frieden und den Gasteiner Vertrag. Der König kann es wieder
veräußern. Will er einen in Real= oder Personalunion mit Sachsen stehenden Staat
daraus machen, so würde wieder freilich nach Verf.-Urk. 5 5 die Zustimmung der Stände
nötig werden. 14) —
Wieder entstünde nun auch für den Fall eines solchen Gebietserwerbes die Frage
wegen der etwa notwendigen Zustimmung des Reiches. Spielt sich die Veränderung
nur ab innerhalb des Bundesgebietes, so hat das nach dem vorhin Erörterten keine Schwierig-
keiten. Bloße Grenzberichtigungen mit dem Reichsausland werden nach der Seite des
Erwerbs hin einer Zustimmung des Reiches nicht bedürfen; die Anzeige müßte hier ge-
nügen. In Betracht käme nur der Fall eines eigentlichen Gebietserwerbes vom Ausland.
Hier würde dann entscheidend sein, daß das Reich nichts anderes ist als „ein ewiger
Bund zum Schutze des Bundesgebietes“. Das Bundesgebiet ist allerdings die Summe
des Gebietes der verbündeten Staaten. Aber wenn sich dieses Gebiet vermehrt, vermehrt
sich damit auch die vom Bunde übernommene Last. Das kann nicht geschehen ohne seine
Zustimmung. Und zwar würde der Fall aufzufassen sein als eine Anderung der in Art. 1
der Reichs-Verf. gegebenen Festsetzung des Bundesgebietes, demnach eine Anderung der
Reichsverfassung notwendig machen. Falls diese Zustimmung nicht gegeben würde, so
bestände gleichwohl für Sachsen kein rechtliches Hindernis, ein außerdeutsches Gebiet
durch Ausdehnung seiner Verfassung und seines Rechtes darauf sich förmlich einzuverleiben
oder es sich in Gestalt des Nebenlandes, der Realunion oder Personalunion anzugliedern.
Ob es gut und ratsam wäre, das zu tun, ist eine andere Frage. 17)
16) Bülau, Verf. u. Verw. des Kgr. Sachsen S. 22 Note 4 hat also nicht unrecht,
wenn er eine Bestimmung vermißt, wie es mit solch einem Erwerb gehalten werden solle.
Die verfassungsrechtliche Regelung ist keineswegs, wie Opitz, Staats-R. I S. 72 Note 28
ihm vorhält, eine erschöpfende. Aber die an trübe Erinnerungen geknüpfte Befürchtung Bülaus
a. a. O.: „Wie? wenn z. B. Rußland das jetzige Polen an Sachsen abträte?" ist insofern grundlos,
als ohne Zustimmung der Stände sächsisches Geld für solchen Erwerb nicht zur Verwendung kommen
könnte; von sächsischen Truppen wäre angesichts des kaiserlichen Oberbefehls jetzt ohnehin keine
Rede mehr. — Über den Fall Lauenburg, der hier sehr lehrreich ist, vgl. v. Roenne-Zorn,
Staats-R. d. Preuß. Monarchie I S. 71 Note 3. Die Auffassung des Verhältnisses als Personal-
union (vgl. auch Bismarcks Rede im Abg.-Haus 9. Januar 1869) halte ich für unrichtig. Lauenburg
war erobertes und gekauftes Land, kein Staat; Personalunion setzt aber zwei solche voraus.
17)0 Laband, Staats-R. I S. 182 verwirft die Einverleibung nichtdeutschen Gebictes
ohne Reichszustimmung, d. h. ohne Ausdehnung der Reichsverfassung auf das Erworbene, „denun
ein solcher Staat würde teilweise souverän und teilweise nicht souverän sein, was nicht möglich ist.“
Natürlich spielt hier wieder die Souveränitätsfrage herein. Aber auch abgesehen davon, dürfte
die DoelsteI1ng Hessens gegenüber dem Norddeutschen Bunde ein entscheidender Präzedenz-
fall sein.