30 Erster Abschnitt: Grundlagen des Staatswesens. 8
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ohne daß er die Bedingung der tatsächlichen Rücktehr erfüllte, so kann die Verleihung
(Naturalisation!) nur durch das Ministerium des Innern geschehen (Verord. v.
24. Dezember 1870, § 8). Das Ministerium des Innern ist auch zuständig, um die Ent-
ziehung der Staatsangehörigkeit in den Fällen des §9 20 und §5 22 des Reichsgesetzes aus-
zusprechen (Verord. v. 24. Dezember 1870, 5 8). Der Ausspruch zerstört dann nicht bloß die
sächsische, sondern auch jede andere deutsche Staatsangehörigkeit, die der Betroffene etwa
außerdem noch besitzen mag.ö5)
Da die Naturalisation nach freiem Ermessen gewährt oder versagt werden kann, so
ist es den Bundesstaaten überlassen, besondere Bedingungen, möglicher-
weise auch durch Verwaltungsvorschrift, dafür festzusetzen. Durch Ministerialverord.
v. 16. August 1879 wurde der Grundsatz aufgestellt, daß im allgemeinen die Lösung aus
dem bisherigen Staatsverband zu fordern sei. Bezüglich österreichischer Staatsangehöriger
war durch Ministerialbeschluß v. 17. November 1880 die vorgängige Beibringung eines
förmlichen Entlassungsscheines ihrer zuständigen Landesbehörde vorgeschrieben worden;
Miuisterialverord. v. 12. August 1903 hat das wieder abgeschafft.
Die Verord. v. 24. Dezember 1870, 5 2 bestimmt, daß die Aushändigung der Aufnahme-
und Naturalisationsurkunden nicht eher erfolgen soll, als bis der neue Staatsangehörige den
durch Verf.-Urk. 53 139 vorgeschriebenen Eid geleistet hat. Das hat bei der Naturalisation
keine Bedenken, weil sie auch ganz und gar verweigert werden könnte. Handelt es sich
um die Aufnahme eines Deutschen, auf welche ja ein Recht zu bestehen pflegt, so wird
eine solche Forderung der Vorausbezahlung der ersten staatsbürgerlichen Schuldigkeit
zwar nicht unbillig scheinen, aber doch mit den formellen Bestimmungen des Reichsgesetzes
nicht zu vereinbaren sein.)
Das Reichsgesetz bestimmt in § 24, welche Urkunden kostenfrei zu erteilen sind,
bestimmt für andere in §3 24 ein Höchstmaß von Gebühren. Der landesrechtlichen Ordnung
bleiben namentlich überlassen die Naturalisationsgebühren. Die Verord. v. 24. Dezember
1870 hat sie auf 6 M. festgesetzt.
III. Welches ist nun das besondere Recht, das sich an die Eigenschaft der
Staatsangehörigkeit knüpft?
Die ältere Staatslehre, welche die Menschen vorzugsweise als Herrschaftsgegenstände
auffaßte, liebte es, eine Aufzählung der Untertanenpflichten zu geben. Diese
war im wesentlichen ein Seitenstück zu der üblichen Aufzählung der landesherrlichen
Hoheitsrechte: Pflicht das Vaterland zu verteidigen, die Staatslasten tragen zu helfen,
der Obrigkeit Gehorsam zu leisten usw. Dazu noch als Zierrat die nicht wohl faßbare
Treuepflicht im allgemeinen.
Die neuen Verfassungen betonen mehr die Rechte der Beherrschten. Das Muster
5) Wie denn auch umgekehrt die Sächsische Staatsangehörigkeit als verloren angesehen werden
muß, wenn ein solcher Ausspruch von seiten der Behörde eines zweiten deutschen Heimatsstaates
erfolgt ist. Der Punkt ist bekanntlich bestritten; vgl. Cahn, Reichsges. v. 1. Juni 1870 S. 150.
6) In diesem Sinne Leuthold, Staats-R. S. 187. Die Bestimmung der genannten
Berordnung wird am besten als eine bloße Anweisung an die Behörde behandelt, daß sie den
Versuch mache, den Eid vorher geleistet zu bekommen. Das ist ja ganz zweckmäßig. Besteht der
Mann auf seinem Rechte, so muß ihm die Aufnahmeurkunde ausgehändigt werden auch ohne Eid.
Der Behörde steht es dann frei, gegen das neue Landeskind sofort „mit den geeigneten Zwangs-
mitteln zu verfahren“, wie die Verordnung § 2 Abs. 2 das zur Herbeiführung der nachträglichen
Eidesleistung in Aussicht nimmt.