87. Die Staatsangehörigen. 31
hat die déclaration des droits de l'homme geliefert, die ein stehendes Requisit in den wech-
selnden französischen Verfassungsdekorationen geblieben ist. Die sächsische Verf.-Urk.
handelt nach diesem Vorbild im dritten Abschnitt: „Von den allgemeinen Rechten und
Pflichten der Untertanen"“.7) Der Schwerpunkt liegt auf den Rechten. Subjektive Rechte
im strengen Sinne bedeutet das nicht; es sollen dadurch den Untertanen gewisse Sicher-
heiten der Staatsgewalt gegenüber geboten werden.3) Und zwar sind
es, wenn man genauer zusieht, fast zu gleichen Teilen Gewährschaften der
Freiheit und Gewährschaften der Gleichheit (mit der „Brüderlich-
keit" haben auch die französischen Vorbilder rechtlich nichts anzufangen gewußt).
An der Spitze der Freiheitsgewährschaften, oder wie man sagt, Freiheitsrechte,
steht Verf.-Urk. J 27 mit dem weittragenden allgemeinen Satz: „Die Freiheit der
Personen und die Gebahrung mit dem Eigentum sind keiner Be-
schränkung unterworfen, als welche Gesetz und Recht vorschrei-
ben.“ Dann folgen Einzelanwendungen in 5 28, §529, F 31, §& 32, 35, § 37, dazu
als allgemeines Schutzmittel in §& 36 das Beschwerderecht. Der fünfte Abschnitt trägt
noch die besonderen Gewährschaften nach, welche auf dem Gebiete der Justiz bestehen
sollen: § 48, § 49, § 50, 5 51, §52 und § 53. — Diese Freiheitsrechte bedeuten sämtlich
die Unterstellung bestimmter Seiten der Freiheit der Einzelnen unter die Herrschaft des
Gesetzes: Eingriffe der Staatsgewalt sind und bleiben hier immer möglich, aber sie können
nur geschehen auf gesetzlicher Grundlage, d. h. durch Gesetz oder vermöge einer vom Gesetz
erteilten Ermächtigung.
Die Gleichheitsgewährschaften werden eingeleitet durch den allgemeinen
Satz in Verf.-Urk. 3 26: „Die Rechte der Landeseinwohner stehen für
alle in gleichem Maße unter dem Schutze der Verfassung.“ Einzel-
anwendungen, welche den etwas verschwommenen Grundsatz wirksam zu machen be-
stimmt sind, geben dann § 30, 5 33, +I 34, 5 38, 5 39, 5 40. Für das Gebiet der Justiz
werden im fünften Abschnitt noch Gleichheitsgewährschaften nachgetragen in §& 54, + 55.
— Die Sicherheit gleicher Behandlung aller durch den Staat in Vorteilen, die er be-
reitet, wie in Lasten, die er auferlegt, das ist’s, was hier gemeint ist. Die Art, wie der
Forderung genügt werden soll, kann aber sehr verschieden sein. In manchen Fällen
handelt es sich nicht um formelle Gleichheit, sondern um Gerechtigkeit, die wohl
verschieden behandelt, aber aus zureichendem sachentsprechendem Grunde. Das kann
angestrebt werden durch Forderung eines richtigen allgemeinen Maßstabes (Verf.-Urk.
§39: „Besteuerung nach möglichst richtigem Verhältnisse“") oder durch Verbot der
Berücksichtigung bestimmter unrichtiger Gründe (5 34: „Die Verschiedenheit des Standes
und der Geburt begründet keinen Unterschied in der Berufung zu irgend einer
Stelle im Staatsdienste“"). In manchen Fällen handelt es sich einfach um Schutz der
allgemeinen Regel gegen Ausnahmen. Und zwar kann das so verstanden sein, daß
die Bewilligung von Ausnahmen der gesetzlichen Bestimmung vorbehalten bleibt, also Will-
kürvergünstigungen von seiten der Regierung verhütet werden sollen (5 30: Wehrpflicht ist
allgemein; „es finden dabei keine anderen als die durch die Gesetze bestimmten Ausnahmen
7) Verf.-Urk. § 24 ff.
# Zu dieser vielumstrittenen Lehre vgl. insbesondere Jellinek, Syst. der subj. öff. Rechte
S. 94 ff.