32 Erster Abschnitt: Grundlagen des Staatswesens. 87.
statt“; ähnlich § 55 bezüglich der privilegierten Gerichtsstände); oder es kann die Meinung
sein, daß solche Ausnahmen überhaupt nicht, auch nicht durch Gesetz bewilligt werden
dürfen; dann würde eine Verfassungsänderung nötig sein, um davon abzuweichen (& 40:
„Neue bleibende Befreiungen von Staatslasten können in keiner Weise vergünstigt oder
erworben werden“; ebenso unbedingt § 54 gegen Moratorien). —
Alle diese soeben vorgetragenen Bestimmungen sind von größter staatsrechtlicher Wich-
tigkeit; sie geben die Grundlinien für das Ineinandergreifen von Gesetzgebung und Re-
gierungstätigkeit. Aber die Frage, auf die es uns hier ankommt, die Frage nach dem
besonderen Recht der Untertanenschaft und Staatsangehörigkeit, wird dadurch in
keiner Weise erledigt. Denn da es sich eben schlechthin um Einrichtungen der obersten Ge-
walt handelt, kommen ihre Vorteile auch den Fremden zugute, soweit sie mit der so ge-
ordneten Staatsgewalt in Berührung gesetzt sind, es sei denn, daß besondere Ausnahmen
für sie gemacht wurden. ) Und andererseits enthält diese Liste offenbar nicht alles, was
Inländer und Ausländer rechtlich unterscheidet. Mit den Freiheitsrechten ist also hier
gar nichts anzufangen. Die Frage muß ganz unabhängig davon behandelt werden.
Für den antiken Staat ist sogar die Rechtsfähigkeit der Fremden von vornherein eine
unsichere Sache. Frankreich hat nach den Überschwenglichkeiten der ersten Revolutionszeit
diese Note noch in seinem code civil sehr scharf anklingen lassen. So wollen denn auch unsere
deutschen Verfassungen es wie eine Art Vergünstigung ansehen lassen, daß sie den
Fremden dem Einheimischen gleich stellen. Für sie aber war die Sache von Anfang an
gar nicht so antik zu denken. Die „Fremden“ waren ja zumeist Deutsche aus anderen Terri-
torien, mit welchen man zusammengehörte. Der Grundsatz, der sich in der neu-
zeitlichen Völkerrechtsgemeinschaft durchgesetzt hat: daß der Ausländer überall
dem Inländer rechtsgleich ist, wo nicht besondere Gründe
eine Abweichung rechtfertigen, verstand sich hier eigentlich von selbst. Er
muß den Ausgangspunkt der ganzen Lehre bilden.
Wie weit solche Abweichungen gemacht werden sollen, bestimmt jeder Staat selbst.
Für die deutschen Staaten jedoch besteht die Besonderheit, daß die gemeinsame Ver-
fassung und Gesetzgebung des Reichs hier maßgebend einzugreifen vermag. Da nun
solches Eingreifen des Reichs vorzugsweise geschieht zugunsten von Reichsangehörigen,
Reichsausländern gegenüber alsdann eine strengere Landesgesetzgebung noch Spielraum
behält, so zerfallen für den deutschen Bundesstaat alle Menschen in drei verschiedene
Rechtsstände: in den Stand der eigenen Staatsangehörigen, den
Stand der sonstigen Reichsangehörigen und den Stand der Reichs-
fremden.
Die Bestimmungen für das besondere Recht der Fremden, welche der Staat gibt, sind
nicht willkürlich ersonnen, sondern richten sich zunächst in mehr äußerlicher Weise nach dem,
wasvölkerrechtlich als zulässig und üblich angesehen wird; in den wichtigsten Punkten
aber ergeben sie sich geradezu aus der Natur der Sache. Diese wichtigsten Punkte
sind dreierlei Art.
Nur der Staatsangehörige gehört auch rechtlich zum Staatsgebiet; nur für ihn ist das
9) Die sächsische Überschrift: „Von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Untertanen“
ist also zutreffender als die preußische: „Von den Rechten der Preußen".