Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

88. Reste von Adelsvorrechten. 35 
  
113); die dem Einzelstaat geschuldete gesetzliche Heerdienstpflicht kann vermöge des Grund- 
satzes der militärischen Freizügigkeit ohne weiteres in einem anderen Bundesstaate erfüllt 
werden (Reichsges. die Verpflichtung zum Kriegsdienst betr. vom 9. Nov. 1867 8 17). 
Da die Ernennung zum berufsmäßigen öffentlichen Dienst ihrerseits meist die etwa 
fehlende Staatsangehörigkeit begründet (Reichsges. 1. Juni 1870, 8 9), so wird der Unter- 
schied der deutschen Staatsangehörigkeiten nur fühlbar bezüglich der Ehrenämter in der 
Verwaltung, der Vertreterschaften in Landtag und Selbstverwaltung und bezüglich des 
Wahlrechtes dazu. 
§ 8. Anhang. Reste von Adelsvorrechten. Im alten Reich bildete der Adel den 
Oberbau der ganzen Gesellschaft. Mit mancherlei Rechtsvorzügen größeren und gerin- 
geren Umfangs erhob er sich in breiter Masse über Bürgertum und Bauernschaft, stufen- 
weise ansteigend bis zur höchsten Spitze, dem Kaiser. Die Landesherren sind eingereiht 
in diese Stufenfolge, unter sich wieder in sehr verschiedenem Maße mit Rechtsvorzügen, 
insbesondere mit Hoheitsrechten ausgestattet. Dabei ist dem System das Bestreben eigen, 
alle diese Vorrechtsstufen äußerlich zu kennzeichnen durch entsprechende Ehrenvorzüge 
in Rang, Wappen, Insignien, Titeln und Anredeformeln. Das Ganze gab auf diese Weise 
ein farbenreiches Bild.)) 
Die Zeit hat die Harmonie dieses Gebäudes zerstört. Die Auflösung des Reichs 1806 
machte die eingetretene Zerstörung kund. Die zerstörende Kraft, die da gewirkt hat, war 
die vom Schicksal immer höher getragene Landeshoheit und die daran geknüpfte Ausbildung 
des modernen Staates. Die kaiserliche Spitze, von der auch alle Ehrenvorzüge ausgingen 
— fons honorum! — ist weggefallen und auch seither nicht mehr durch gleichartiges ersetzt 
worden. Was unterhalb des Landesherrn steht, verschmilzt sich mit dem Reste des Volkes 
zu einer einheitlichen, gleichberechtigten Masse der Untertanenschaft. Der Wettiner ist 
als König kein Adeliger von gesteigertem Rechtsvorzug, sondern ist etwas ganz anderes, 
eigenartiges, sein Verhältnis zum Staate hat nicht seinesgleichen und auch nichts An- 
näherndes in der Stellung des Landesadels. Das königliche Haus ist um seinet- 
willen ausgezeichnet durch allerlei Vorrechte; darum werden wir in der Lehre vom Könige 
davon zu sprechen haben. Aber eben deshalb ist es auch keine Adelsfamilie, sondern Herr- 
scherhaus. Wäre die Krone nicht mehr bei diesem Hause, so würde es seine rechtliche Natur 
verändern. Wir können den besonderen Rechtsschutz und die Ehrenvorgänge, welche den 
König und sein Haus umgeben, als Standesvorrechte bezeichnen; denn sie hängen 
an seiner persönlichen Eigenschaft als König, an seinem Stand. Dann sind das aber die 
einzigen Standesvorrechte, die das Recht des neuzeitlichen Staates kennt und duldet. 
Von dem alten Reichtum der adligen Standesrechte ist nichts geblieben als die hohle Form 
der verschiedenen Ehrenvorzüge, die ja von großer gesellschaftlicher, wie nicht minder 
von einer gewissen wirtschaftlichen Bedeutung ist, aber jedenfalls das Recht nicht viel an- 
geht. Und außerdem sind geblieben gewisse Trümmer der älteren Zustände, mehr oder 
weniger sorgfältig konserviert, wie wertvolle Altertümer, je nach dem Geist, der das Staats- 
wesen selbst beherrscht. Der sächsische Staat hat von jeher eine gewisse pietätvolle Neigung 
gezeigt, solche Dinge in Geltung zu halten, auch wenn irgendwelche sachliche Interressen 
des Staatswohles in keiner Weise daran hängen. — 
1) Hierüber vor allem: Rehm, Prädikat und Titelrecht der deutschen Standesherrn. 
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