36 Erster Abschnitt: Grundlagen des Staatswesens. 8 8.
Daraus erklären sich zwei Erscheinungen, Stücke alter Adelsvorrechte, welche mitten
im Reiche der Gleichheit aller Staatsangehörigen stehen geblieben sind und eine gewisse
Wichtigkeit behalten haben für die Gestaltung der Volksvertretung wie für die Verwal-
tungseinrichtung. Es handelt sich einerseits um die Standesherrschaften,
andererseits um die Rittergüter.
I. Der große Aufsaugungsprozeß, der sich mit der Auflösung des alten Reichs und der
Gründung des deutschen Bundes vollzog, hatte eine bedeutende Anzahl von bisherigen
Standesgenossen des deutschen Fürstentums in die Menge der Untertanen verwiesen.
Der Zufall hatte bei der Auswahl der Übriggebliebenen eine unverkennbare Rolle gespielt,
und so entsprach es denn einer Art von Gerechtigkeitsgefühl, wenn die Bundesakte in
ihrem Art. 14 den 1806 und seither mediatisierten Reichsständen, den Standesherren,
in den deutschen Bundesstaaten gewisse Rechtsvorzüge gewährleistete. Sie sollen in
ihren ursprünglichen Gebieten noch einzelne landesherrliche Rechte auszuüben haben, so-
weit solche nach ihrer Art und ihrer notwendigen Unterordnung unter die Staatsgewalt
als ungefährlich für deren Souveränität angesehen werden durften: Patrimonial-Justiz,
Patrimonial-Verwaltung, Patrimonial-Kirchenhoheit.) Dazu werden ihnen allerlei per-
sönliche Vorzüge beibehalten: Ebenbürtigkeit, hoher Adel, Freizügigkeit, Freiheit von
Steuern und Lasten und ein privilegierter Gerichtsstand pflegen sie auszuzeichnen. Sitz
und Stimme in den bestehenden oder zu schaffenden Landtagen verspricht die Bundesakte
ausdrücklich.
Jeder Staat hat seine Standesherren, seine standesherrlichen Familien, die
seine Untertanen sind, aber nicht zu gleichem Rechte mit den übrigen. Der Maßstab der
Zuweisung ergibt sich von selbst durch die einverleibten Gebiete, in deren Bereich der Kern
der Sonderrechte, die untergeordnete Landeshoheit, wenn man so sagen darf, zu üben ist.
Sachsen war bekanntlich bei jenem guten Geschäfte von 1806 und von 1815 gänzlich
leer ausgegangen. Infolgedessen hatte es auch keine Standesherren im Sinne der Bundes-
akte Art. 14. Es ist aber, als hätte man dieses als einen Mangel empfunden, dem man
von seiten der Regierung tunlichst abzuhelfen bemüht war. Damit hängen die hier zu
betrachtenden Erscheinungen zusammen.
Es handelt sich um die Sonderrechte des Hauses Schönburg und des Hauses Solms-
Wildenfels.
In der Verf.-Urk. § 63 Ziff. 6 und 7 ist allerdings auch noch die Rede von der „Standes-
herrschaft Königsbrück“ und der „Standesherrschaft Reibersdorf“, deren Besitzer Mitglieder
der ersten Kammer sein sollen. Die Bezeichnung ist aber irreführend; es sind hier keine
standesherrlichen Vorrechte in Frage. Diese Güter sind nichts als gewöhnliche Ritter-
güter, mit etwas schärferer Ausprägung der nach sächsischem Recht an den Besitz von
solchen geknüpften politischen Rechte.#)
2) Die Rheinbundsakte, Art. 6 und 7, hatte die maßgebende Unterscheidung gemacht zwischen
den staatlichen Hoheitsrechten, welche dem „Souverän“ unbedingt zustehen mußten, und den-
jenigen, welche den Mediatisirten belassen werden konnten. Die Bundesakte konnte sich, dezenter-
weise, nicht wohl auf die Rheinbundsakte beziehen; sie bezeichnete dafür als nachahmenswertes
Vorbild („Basis und Norm“") eine Bayrische Verordnung vom Jahre 1807, welche jene Bestim-
mungen der Rheinbundsakte zur Ausführung brachte.
3) Die Schriftsteller sind immer geneigt, an diesen „Standesherrschaften“ doch noch etwas
Besonderes zu finden, ihre Besitzer wenigstens zu einer Art sächsischen „hohen“ Adels“ zu rechnen:
v. Römer, Staats-R. und Statistik II S. 83 ff. III S. 138 ff.; Bülau, Verfassung und