8 8. Reste von Adelsvorrechten. 37
1. Die Herren von Schönburg waren seit langer Zeit an der Zwickauer
Mulde begütert. Sie besaßen dort mehrere Herrschaften, adelige Güter mit zugehörigem
Gebiet, wo sie landesherrliche Gewalt ausübten. Diese Herrschaften waren zweierlei
Art. Die vier nördlichen: Rochsburg, Wechselburg, Penig und Remse, die sogenannten
Lehensherrschaften, waren unstreitig Bestandteile des Kurfürstentums Sachsen,
und die Herren von Schönburg hatten für sie auf dem erbländischen Landtage zu erscheinen.
Für die fünf südlichen dagegen: Glauchau, Waldenburg, Lichtenstein, Hartenstein und
Stein, die nachmals so genannten Rezeßherrschaften, bestritten die Herren
von Schönburg die Landsässigkeit und behaupteten die Reichsunmittelbarkeit. Tatsächlich
waren sie nicht bloß in Besitz der Reichsstandschaft gelangt, die sie auf der Wetterauischen
Grafenbank ausübten, sondern auch der Kreisstandschaft im obersächsischen Kreise; beides
setzte ja ordentlicherweise reichsunmittelbares Gebiet voraus. Kursachsen machte seine
Landeshoheit auch über diese Besitzungen geltend. Für seine Rechte sprach der Grund-
satzt des territoriumclausum, den die größeren Landesherren mit Erfolg zu vertreten pflegten,
d. h. die Rechtsvermutung der Landeszugehörigkeit umschlossener Gebiete.") Der Streit
fand seine Erledigung vertragsmäßig unterm 4. Mai 1740.
Es wurden zwei Vertragsakte, Rezesse, errichtet; da drei von den Herrschaften
böhmische Lehen, und nur zwei, Hartenstein und Stein, zugleich kursächsische Lehen waren,
schienen der gehörigen Form halber gesonderte Akte notwendig; der Hauptrezeß betrifft
die böhmischen, der Nebenrezeß die sächsischen Lehen. Sie finden sich abgedruckt in der
Samml. d. Ges. u. Verord. 1835, S. 595 ff.
Nach Inhalt dieser Rezesse hat der Kurfürst im wesentlichen seine Ansprüche durch-
gesetzt. Er erklärt zwar: er wolle „die Herren von Schönburg an ihrer Reichs= und Kreis-
standschaft und deren Exercitio nach der Observanz und soweit sie es diesfalls hergebracht,
nicht hindern“ (§+ 18 des Hauptrezesses). Aber die Herren von Schönburg verzichten ihrer-
seits darauf, „dem Kurhaus zu Sachsen die landesfürstliche Oberbotmäßigkeit und das
Jus territoriale“ über die Herrschaften streitig zu machen (5 3), versprechen deshalb von
nun an auch wegen dieser Rezeßherrschaften auf dem erbländischen Landtage zu er-
scheinen (§ 14).
Unsere neuzeitliche Auffassung mit ihrer einfachen Unterscheidung zwischen Staat und
Fürst einerseits, allem, was sonst im Gebiet sich bewegt, andererseits, würde geneigt sein,
daraus sofort ein gewöhnliches Untertanenverhältnis zu machen. Den Anschauungen des
alten Reichs entsprach der Stufenbau: die Herren von Schönburg haben immer noch
ihr eigenes Gebiet und die Bewohner sind ihre Untertanen, welchen sie als obrigkeitliche
Verfassungs-KR. S. 16; Opitz, Staats-R. I S. 92 ff. Das einzige, was sie auszeichnete, war
früher die Rolle, welche sie im Landtage der Oberlausitz spielten. Da hatten ihre Besitzer An-
spruch auf Sitz und Stimme im „engeren Ausschuß“, während die Besitzer gewöhnlicher Ritter-
güter in diesen Ausschuß nur gelangten, wenn sie mit einem landständischen Amte betraut waren.
Die Verfassungs-Urkunde hat daran angeknüpft, um die Besitzer jener wichtigeren Güter mit
Virilstimmen in der ersten Kammer zu begaben. Von einem Vergleich mit deutscher Standes-
herrlichkeit und von bevorrechteter Familie ist hier gar keine Rede; vgl. unten § 15, II. — Der
Name Standesherrschaften ist allerdings für diese Güter wie für zwei andere, 1815 an Preußen
gefallene althergebracht; gerade deshalb beweist er aber gar nichts.
4) Das Argumentum a situ: Pütter, institutiones jur. publ. Germ., §& 476. Es klingt
auch in der Einleitung zu dem sogleich zu erwähnenden Vertrage von 1740 noch einmal heraus:
„wegen dero im Chur. Fürstl. Sächß. Territorio gelegenen, und, wie von dem hohen Chur-Hauße
Sachsen jederzeit behauptet worden, darzu gehörigen Herrschaften.“