40 Erster Abschnitt: Grundlagen des Staatswesens. s
legenheit ab, um mehreres zusammenzufassen. An die Verfassung von 1831 schließt sich
der Erläuterungsrezeß v. 9. Oktober 1835, an die Justizgesetze v. 11. August 1855 die Über-
einkunft v. 22. August 1862, endlich an die mit 1. Oktober 1879 in Kraft tretenden
Reichsjustizgesetze die übereinkunft v. 29. Oktober 1878, die Anlaß nahm, auch die in-
zwischen ergangenen Gesetze über Verwaltungsorganisation, Gemeindeordnung, Schul-
wesen und Kirchenverfassung für die Rezeßherrschaftsgebiete zu völliger Durchführung
zu bringen.
In allen diesen Fällen wurde das Verfahren beobachtet, daß die förmliche Ermächti-
gung der Stände zu dem Übereinkommen eingeholt wurde, nach dem Abschlusse der König
durch eine „Deklaration“ seine Genehmigung erteilte und alsdann die Veröffentlichung
im Gesetz= und Verordnungsblatt erfolgte. Damit ist der Inhalt der Abmachung
zweifellos auf den festen Boden der staatsrechtlichen Ordnung gestellt; wir werden in
der Lehre vom Gesetze auf die dabei hervortretenden Eigentümlichkeiten zu-
rückkommen; vgl. unten 522 Note 14 und Note 18. Fraglich ist hier, welcher rechtliche
Wert diesen Abmachungen für sich selbst zukommt.
Man hat behauptet: der ganze Rechtszustand sei dadurch ein vertragsmäßiger geworden
mit der Bedeutung, daß er auch im Wege der Landesgesetzgebung nicht mehr einseitig ge-
ändert werden kann. Dies war auch die Auffassung der Vertragschließenden selbst, die sie in
den Rezessen geradezu zum Ausdruck gebracht haben. 12) Es wäre aber ein Irrtum, zu glau-
ben, daß diese so schlechthin maßgebend sein müsse. Im Gegenteil ist zu sagen, daß diese
Auffassung der Wirklichkeit des Rechts gegenüber nicht gehalten werden kann. Sachsen
ist ein vollentwickelter Staat und die Staatsgewalt, wenn sie in ihrer höchsten Form, in
einer Anordnung des Fürsten mit ständischer Zustimmung, erscheint, ist dem Untertanen
gegenüber rechtlich nicht bindbar. Es wäre pflichtwidrig und widerspräche den höheren
sittlichen Forderungen, wollte man sich gleichwohl an solche Dinge gebunden erachten,
wenn das Staatswohl das Gegenteil nötig macht. Die Abmachungen, welche zwischen
dem Staate und den Untertanen getroffen werden über die Ausübung der öffentlichen
Gewalt, können ihrer rechtlichen Natur nach überhaupt keine echten Verträge sein, denn
der Vertrag setzt die rechtliche Gleichheit der Vertragschließenden voraus, deren überein-
stimmender Wille gemeinsam den Rechtserfolg zu tragen hat. Der Staat kann seinen
Behörden die Einwilligung der Beteiligten als Bedingung setzen für die Rechtmäßigkeit
der Ausübung ihrer Amtsgewalt. Er kann freiwillig, auch wo er in der höchsten Form
seiner Willensäußerungen, im Gesetze, auftritt, eine vorgängige Verständigung suchen.
Ein Vertrag ist das nie, wenigstens nicht in dem praktischen Sinne, daß er auch den Gesetz-
geber schlechthin bände.
Gegenüber den Herrn von Schönburg lagen hier allerdings Gründe vor, ihrer Zu-
stimmung sich zu versichern.
12) Erläuterungsrezeß v. 9. Okt. 1835, IX § 2: „Sollten letztere (Schönburg) diese-Rezesse
durch ein Gesetz, eine Verordnung oder einen sonstigen Akt der Staatsbehörde für verletzt halten
.. so findet der Rechtsweg bei demjenigen Gerichtshofe statt, vor welchem der Staatsfiskus zu
belangen ist.“ Der Gesetzgeber wird vor dem Landgericht verklagt auf Ungültigerklärung seines
Gesetzes! Der ## 3 fügt hinzu: „Die Mitglieder des betreffenden Gerichtshofes sind in solchem
Falle aller gegen Se. Königliche Majestät von Sachsen habenden Pflichten von selbst entbunden
und bloß auf den Richtereid verwiesen.“ Wir befinden uns hier offenbar im vollen 18. Jahrhundert,
in der Zeit, wo das Reichskammergericht landesherrliche Gesetze vernichtet, und wo es immer
noch zweifelhaft ist, ob der Richter auch imstande sei, gegen seinen Fürsten zu erkennen.