50 Zweiter Abschnitt: Der König und das Königliche Haus. 8 9.
Darüber hinaus bestehen dann weitere Verbände: blutsverwandte Häuser oder sonst
befreundete, zwischen welchen der strenge Lehens-Zusammenhang nicht bestand oder aus
irgendeinem Grunde zerrissen wurde, verbinden sich zu gegenseitiger Erbfolge durch
Vertrag, Erbverbrüderung. Um wirksam zu sein, bedarf auch dieser wiederum der
Bestätigung des Lehensherrn, der dann jeden der beiden Teile belehnt mit den Besitztümern
des andern. Das wirkt dann dem Geblütsrecht gleich, kam auch ursprünglich zum Ausdruck,
wie dieses, in einer Belehnung zur gesamten Hand. Schon Ende des 16. Jahrhunderts
betonte man aber auch in der Belehnung, daß sie nur geschah für den Fall des Erlöschens
des andern Hauses, Eventualbelehnung, Erxspektanz, Anwartschaft.
Der Kaiser konnte derartige lehensrechtliche Zusammenhänge auch ganz von freien
Stücken schaffen, ohne die Grundlage von Geblütsrecht oder Vertragsrecht, durch Samt-
belehnung Nichtverwandter, einseitig gewährte Eventualbelehnung und Exspektanz. —
Das alles war bis zum Ende des alten Reichs wenigstens der Form nach in Gang und
Betrieb geblieben. Für die souverän gewordenen Staaten konnte aber jetzt nur soviel
von diesen lehensrechtlichen Ordnungen fortbestehen, als eben ohne einen Lehensherrn
denkbar ist. Inwieweit die rein formalen Zusagen und Begnadigungen zu retten sind,
ist sehr die Frage. Geblütsrecht und Vertragsrecht aber treten jetzt selbständig in den
Vordergrund um fortan unmittelbar ihre Wirkungen zu äußern, beide natürlich in der be-
stimmten Rechtsausprägung, die sie unter dem bisher maßgebenden Einflusse des Lehen-
rechts erhalten haben.5)
Im Hause Wettin waren die Fürsten, soviel auch geteilt wurde, stets „miteinander in
gesamter Lehnschaft sitzen geblieben". Noch im Teilungsvertrag von 1485 zwischen Ernst
und Albrecht war die Gesamtbelehnung vereinbart worden, die man dann auch das Jahr
darauf beim Kaiser erwirkte.) Wäre es dabei verblieben bis zum Ende der Lehenrechts-
5) Der Umschlag war, rechtswissenschaftlich betrachtet, ein überaus großer. Tatsächlich hatte
er sich schon lange vorbereitet. Bezüglich der Erbverbrüderung bemerkt Loening, Die Erb-
verbrüderung zwischen den Häusern Sachsen und Hessen S. 36, mit Recht: das Vertragselement
sei hier gegen das Ende des alten Reichs „dem Wesen nach“ so vorwiegend geworden, daß der
lehensrechtliche Charakter ganz in den Hintergrund trat. Vgl. auch Heusler, Institutionen
d. deutsch. Priv.-Rechts 1 S. 234. Noch näher lag diese Verschiebung bei der Geblütserbfolge
der Seitenverwandten und der dazu gehörigen Gesamtbelehnung.
Die Rheinbundsakte Art. 34, stellte fest, daß die erbrechtlichen Beziehungen zwischen den ver-
bündeten Fürstenhäusern (.„la maison ou la branche“) unberührt bleiben sollen. Dadurch sind
jedenfalls in Geltung geblieben: lehensrechtlich anerkannte Erbverbrüderungen und lehensrechtlich
gewahrtes Geblütsrecht der Seitenlinien („la branche“!). Wie weit es sonst noch geht und wie
das alles nun rechtlich aufzufassen sei, darüber ist man weder einig noch klar gewesen. Klüber,
der damals eine führende Rolle spielte in diesen Fragen, äußert sich in seinen Abhandlungen und
Beobachtungen für Geschichtskunde, Staats= und Rechtswissenschaft, Bd. 1, S. 1ff.: „Der Art. 34
macht bei den vorbehaltenen Staats-Sukzessionsrechten keinen Unterschied in Ansehung der Rechts-
titel, auf welchen sie beruhen. Sonach sind darunter auch dieienigen begriffen, welche ihren Grund
in anderem Rechte haben als in demjenigen der Verwandtschaft (jus sanguinis), namentlich in
Samtbelehnung Nichtverwandter (ertraneorum), in Erbverträgen, in Eventualbelehnung und
selbst in einfacher Anwartschaft, wenn sie nach den gleichzeitigen Rechtsgrundsätzen ein gesetzliches
Dasein erhalten haben, folglich dadurch ein wohlerworbenes Recht begründet ist“. Was heißt das:
„ein gesetzliches Dasein“? — Vgl. auch Klüber, Staatsrecht des Rheinbundes §120; Klü-
ber, Off. R. d. deutsch. Bundes & 53, Note d: Zachariae, Deutsch. Staats= u. Bundes-
recht 1 S. 166.
6) Lünig, „Reichs-Arch. Pars spec. Cont. II S. 237: die Teilung geschah „unschädlich der
Erbhuldigung, darin die unseren uff beyden Theilen kegen uns beyden und unser beyder Erben
bleiben. Wir sollen auch sämbtlichen mit einander gesammt Lehen uns beleihen lassen und in
gesambten Lehen mit einander bleiben, und alsdann eine Verschreibung zwischen uns machen,
wie wir und unser beyden Erben in solchen gesambten Lehen sitzen“.