54 Zweiter Abschnitt: Der König und das Königliche Haus. 89.
wird. Linie bedeutet eine Abstammungsgemeinschaft, und zwar eine engere Abstammungs-
gemeinschaft innerhalb einer vorausgesetzten weiteren. So ist das ganze Königlich Sächsische
Haus ursprünglich die Albertinische Linie des Wettinischen Hauses. Linealfolge
bedeutet, daß die Thronfolge nicht mit einzelnen Menschen rechnet, sondern mit Linien.
Der Vorzug der Erstgeburt ist nicht bloß dem Erstgeborenen erworben, sondern seiner Linie,
so daß auch im Falle seines früheren Ablebens die von ihm Abstammenden dem Nach-
geborenen und den von diesem Abstammenden vorgehen. Die Krone bleibt dann in der
erwählten Linie (der regierenden Linie) bis zu ihrem Erlöschen und geht, wenn
dieser Fall eintritt, nicht an den Nächsten dem Grade nach, sondern an die nächste Linie
dem Linienrange nach, also zunächst an die des Zweitgeborenen, an ihn selbst als das
Haupt der Linie, und wenn er nicht mehr lebt, die Linie herab an den in dieser berufenen
Abkömmling. In jeder Linie kommen dann wieder die bekannten Grundsätze zur Geltung:
Mannesstamm, Erstgeburt, Linealfolge für etwaige Unterlinien.1)
4. „Vermöge Abstammung aus ebenbürtiger Ehe'“. Nur die eheliche
Kindschaft begründet die Zugehörigkeit zum sächsischen Fürstenhause und damit die Thron-
folgefähigkeit. Annahme an Kindesstatt genügt nicht und ebenso wenig Legitimation
eines unehelich Geborenen.
Die meisten Verfassungen verlangen überdies eine „konsentierte" oder, wie die vorbild-
liche Württembergische Verfassung sich ausdrückt, eine „mit Bewilligung des Königs ge-
schlossene“ Ehe. Die sächsische Verfassung sieht davon ab, nicht weil sie es weniger streng
nähme, sondern weil nach den hier maßgebenden hausgesetzlichen Bestimmungen ein
solcher Vorbehalt nicht nötig ist. Die Ehe eines Prinzen des königlichen Hauses, welche ohne
vorhergehende Erlaubnis des Familienoberhauptes geschlossen wäre, ist schlechthin un-
gültig.15) Die Thronfolge der daraus hervorgehenden Kinder kommt also ohnehin nicht
in Frage.
Ebenbürtigkeit bedeutet die Gleichwertigkeit des Geburtsstandes des Ebe-
gatten. Ebenbürtig sind den Mitgliedern des Königlich Sächsischen Hauses nur Mitglieder
14) Linealfolge bedeutet also eine Rangfolge der Linien und weiter, daß die Berufung zum
Throne der Linie folgt, in ihr herabsteigt. Daher gibt es hier keine Aszendentenerbfolge: Rehm,,
Mod. Fürstenrecht, S. 353. Bei der reinen ordentlichen Thronfolge käme nur der Fall in Be-
tracht, daß der Vater des letzten Königs die Krone niedergelegt hätte. Opitz, Staatsrecht 1
S. 128 Note 10, verneint mit Recht die neue Berufung. Zacharige, Deutsch. Staats= und
Bundes-R. 1 S. 425 Note 2, scheint anders entscheiden zu wollen, wenn der letzte König nicht
durch Tod, sondern auch wieder durch Verzicht in Wegfall gekommen wäre. Wenn eine Kognaten-
Thronfolge dazwischen kam, ist auch der Fall denkbar eines Aszendenten des letzten Königs,
der die Krone weder ausgeschlagen, noch niedergelegt hätte. Alle diese Fälle müssen aber selbst-
verständlich gleich behandelt werden.
Die Linealfolge bedeutet von selbst auch ein umfassendes Repräsentationsrecht der Abkömm-
linge oder, in Verbindung mit der Primogeniturordnung, des dadurch bezeichneten Abkömmlings.
Andererseits, da die Berufung in der Linie stufenweise herabsteigt, schließt der lebende Erzeuger
jedesmal seinen Abkömmling aus. Das muß gesagt werden, da wir ja nicht nach Graden rechnen.
15) Königl. Hausges. v. 30. Dezember 1837, §9: „Ohne die förmliche, durch besondere Ur-
kunde in Gewißheit zu setzende Einwilligung des Königs ist die Ehe eines Prinzen vom König-
lichen Hause ungültig und deren Nachkommenschaft nicht sukzessionsfähig.“ Es handelt sich um
einen Mangel in der Form der GEheschließung, der als solcher durch nachträgliche Genehmigung
des Königs nicht gedeckt werden kann. Die Bedenken Rehms (Modernes Fürstenrecht, S. 216,
217), ob diese Folgerung nicht zu streng sei, mögen vielleicht gerechtfertigt sein, wo das Gesetz nur
die Thronfolgefähigkeit der Nachkommenschaft aus der unkonsentierten Ehe ausschließt. In un-
serem Falle aber trifft zu, was Seydel, Boayr. Staatsrecht I S. 191 Note 7, zum älteren
bayrischen Rechte ausführt, wonach ebenfalls die Ehe selbst als nichtig angesehen wurde. Daraus
folgert Seydel die Unheilbarkeit des Mangels.