89. Die Thronfolgeordnung. 59
zweifelhafte brandenburgische Erbverbrüderung noch retten. Durch ein Verfassungsgesetz
kann man ja auch ohne Erbverbrüderung irgendeinen Prinzen berufen; auf ein solches
verweisen, heißt aber der Erbverbrüderung die Rechtswirkung absprechen.
Wohl verstanden: die Erbverbrüderung erzeugt auch nicht etwa eine Pflicht, ihrer
Mangelhaftigkeit abzuhelfen und sie rechtswirksam zu machen durch ein zu Hilfe kommendes
Verfassungsgesetz. Sie ist kein völkerrechtlicher Vertrag, der den Staat bände. Sie ist
ein Erbrecht begründendes Familienabkommen, das der Verfassungsstaat übernommen
hat, soweit es in seine sonstigen Ordnungen sich hineinzufügen vermag. Wenn nicht, so
hat es eben für ihn keine Rechtswirkung; es kann höchstens noch ein Beweggrund werden
zu einem entsprechenden Gesetzgebungsakt; ob es das wird oder nicht, entscheidet der Ge-
setzgeber souverän. —
Neue Erbverbrüderungen können nicht abgeschlossen werden. Diese geschichtlich ge-
wordenen Einrichtungen des landesherrlichen Hauses hat die Verfassung gelten lassen
und ihre Wirkungen verstaatlicht. Damit ist nicht gesagt, daß sie auch Raum dafür lassen
wollte, um auch fernerhin durch derartige familienrechtliche Bündnisse die staatliche Ord-
nung neu bestimmen zu lassen. Der Wortlaut des §7 spricht dagegen; man hätte doch
zweifellos in der Verfassung selbst wegen des künftigen Abschlusses solcher Verträge Näheres
bestimmt. Wenn die Meinung ausgesprochen worden ist: Erbverbrüderungen könnten
jedenfalls noch durch verfassungsänderndes Gesetz geschaffen werden, so ist das etwas
Selbstverständliches, aber für die Erbverbrüderung eben auch nichts Besonderes: alles
kann so geschaffen werden.s)
2. Daß „eine weibliche Linie', d. h. eine sächsische Prinzessin und ihre Nach-
kommenschaft aus ebenbürtiger Ehe zur Thronfolge berufen werden kann, ist eine Neuerung
der Verfassung. Sie hat damit die Folgerung gezogen aus der Tatsache, daß mit Unter-
gang des alten Reichs die lehensrechtlichen Zusammenhänge abgestreift worden waren.
In diesem System war eine Nachfolge der Kognaten überhaupt nicht vorgesehen gewesen.
Und auch jetzt kommt die weibliche Linie des sächsischen Hauses erst hinter dem erbver-
brüderten Hause, genauer gesagt: sie ist überhaupt nur für den Fall berufen, daß nach
dem Erlöschen des albertinischen Mannesstammes auch ein kraft Erbverbrüderung be-
rechtigter Prinz nicht vorhanden ist. Denn nicht nur soll dem Rechte des erbverbrüderten
Hauses durch die neue Berufung der Kognaten kein Eintrag geschehen, sondern sobald
das erbverbrüderte Haus, Ernestiner, Hessen, Brandenburger berufen worden ist, ist von
albertinischen Kognaten überhaupt keine Rede mehr. Es lag im Sinne der alten Erb-
verbrüderungen, daß, wenn das fremde Haus einmal kraft dieser Abmachung ins Recht
zendes, ist wohl gemeint, oder verfassungänderndes, denn verfassungsmäßig sind sie alle, das würde
hier nicht genügen) Gesetz. Erlischt der Mannesstamm des regierenden Hauses, ehe ein solches
Gesetz erlassen ist, so muß eine Regentschaft eintreten, bis dasselbe zustande gekommen sein wird."“
28) Bülau, Verf. u. Verw. I S. 47, und Opitz, Staats-R., I, S. 137, wollen ohne
Vorbehalt den Abschluß neuer Erbverbrüderungen zulassen. Das geht wohl zu weit; Verf.-Urk.
enthält keineswegs eine allgemeine Ermächtigung für die Zukunft. In Bayern hält man den
Abschluß neuer Erbverbrüderungen durch den Rönig allein für zulässig und wirksam, weil in Verf.=
Urk. Tit. II § 4 und § 5 eine beschränkte Ermächtigung dazu gesehen wird: Seydel, Bayr.
Staatsrecht I S. 195 Note 9. Für alle Fälle, wo eine solche Ermächtigung nicht besteht, gilt
der von Schulze, Deutsch. Staatsrecht I S. 241, aufgestellte Satz: „Eine neue Erbverbrüdc-
rung kann heutzutage nur in den Formen eines verfassungsändernden Gesetzes zustande kommen“.
da könnte man allerdings fragen, ob das dann noch den Namen einer Erbverbrüderung verdienen
würde. Jedenfalls hat Seydel (a. a. O. S. 194) nicht Unrecht, wenn er von künftigen Erb-
verbrüderungen nicht viel hält.