64 Zweiter Abschnitt: Der König und das Königliche Haus. 8 10.
nicht König werden zu wollen. Auch dieser Fall ist in der Verfassung nicht geregelt; es ist
aber allgemein angenommene Lehre, daß solche Ausschlagung wirksam ist. Wenn der
König auf sein erworbenes Recht verzichten kann, weil es sein Recht ist, so muß der zur
Krone Berufene ebenso den ihm entgegenkommenden Rechtserwerb durch seine Ablehnung
vereiteln können. Eine bestimmte Erklärung ist in diesem Falle so notwendig wie im
ersten. Etwas anderes wird aber hier vor allem gefordert werden müssen: das ist die
Rechtzeitigkeit der Erklärung. Denn der Anfall der Krone wirkt von selbst, um den Be-
rufenen zum König zu machen, und wirkt im Augenblicke des Wegsterbens seines Vor-
gängers. Streng genommen wäre es überhaupt nicht möglich, wenn der Fall eingetreten
ist, mit der Ausschlagung der Krone noch rechtzeitig zu kommen; es würde immer eine
Abdankung daraus. Und daran könnten sich wichtige rechtliche Folgen knüpfen. In
Anlehnung an die entsprechenden Ordnungen des bürgerlichen Erbrechts wird aber hier
eine Rückbeziehung der Ausschlagungserklärung stattfinden; die Grenze ist gegeben durch
die „Einmischung in die Erbschaft“: die erste Regierungshandlung macht derart zum
König, daß von nun an ein Verzicht nur noch Abdankung, nicht aber mehr Ablehnung sein
könnte.R)
Denkbar ist noch eine dritte Art des Verzichtes: der auf die künftig anfallende Krone,
Verzicht im voraus. Er könnte deshalb besonders wichtig erscheinen, weil ein
derartiger Fall gerade in der Zeit der Entstehung der Verfassung in Sachsen wirklich vor-
gekommen ist: dem kinderlosen König Anton, der die Verfassung gegeben hatte, folgte
1836 nicht sein überlebender Bruder Maximilian, sondern dessen ältester Sohn Friedrich
August; Prinz Maximilian hatte bereits 1830 auf die künftige Thronfolge verzichtet. Die
rechtliche Bedeutung eines derartigen Verzichtsaktes darf aber nicht mißverstanden werden.
Eine solche Erklärung ist nicht imstande, die Thronfolgefähigkeit des Erklärenden zu zer-
stören; das könnte sie bloß, wenn sie einen Austritt aus dem Königlichen Hause bedeutete,
den sie nicht beabsichtigt und nicht beabsichtigen kann. Ebensowenig vermag sie die be-
stehende hausgesetzliche oder verfassungsmäßige Thronfolgeordnung zu ändern. Ihre
Wirkung kann nur sein die eines Verzichtes des Erklärenden auf sein künftiges Recht,
auf die ihm künftig etwa anfallende Krone. Ob dieses Recht überhaupt zur Entstehung
kommen wird, ist zur Zeit der Erklärung noch ungewiß : sie ist nur abgegeben für den Fall,
daß es entsteht, dann erst wird sie wirksam, und zwar als Verzicht auf die anfallende Krone,
als Ausschlagung. Bis zu diesem Augenblick, also bis zur Eröffnung der Thronfolge, kann
sie zurückgenommen werden. Nachher nicht mehr. Denn die Rechtsvorgänge sind sich
dann Schlag auf Schlag gefolgt ohne Zwischenraum: Erledigung des Thrones; Berufung
des Verzichtenden; Wirksamwerden seines Verzichts; Berufung des Nächstfolgenden, der
nicht verzichtet hat; Wirksamwerden seines Erwerbes der Krone, der nun selbstver-
ständlich nicht mehr rückgängig werden kann dadurch, daß der Vormann seinen Verzicht
widerruft.7)
6) Bis zur Bekantmachung des Regierungsantrittes (vgl. unten, Nr. 2) würde also eine
Art Ungewißheit bestehen; dem gegenüber empfiehlt sich gerade die im Texte nun zu erwähnende
dritte Art von Verzicht. — Daß hier eine Gegenzeichnung nicht am Platze wäre, ist ja ganz offenbar.
7) Seydel, Bayr. Staats-R. 1 S. 201; v. Frisch, Thronverzicht S. 109. — Der
oben erwähnte Verzicht des Prinzen Maximilian fand statt, als König Anton am 13. September
1830 seinen Neffen, den Prinzen Friedrich August, zum Mitregenten annahm. Beides wurde
damals in eine einzige Urkunde ausgenommen und von den Ministern gegengezeichnet; selbst-
verständlich bezog sich diese Gegenzeichnung nur auf die Erklärung des Königs. Als dieser dann