66 Zweiter Abschnitt: Der König und das Königliche Haus. 8 10
An den Regierungsantritt knüpfte sich nach früherem Rechte eine allgemeine An-
gelobung der Treue und des Gehorsams gegen den König von seiten der Untertanen, die
sogenannte Erbhuldigung. Die Verf.-Urk. setzt die Fortdauer dieser Einrichtung
voraus und denkt offenbar an eine Art Gegenseitigkeit; deshalb läßt sie auf die Regelung
der Verfassungszusage in § 138 sofort in § 139 eine Bestimmung über den „Untertanen-
Eid“ folgen (vgl. oben §7 Note 23). Vorgeschrieben hat sie jedoch einen solchen Eid aus
Anlaß des Thronwechsels nicht und tatsächlich ist diese allgemeine Erbhuldigung in Sachsen,
wie anderswo, gänzlich außer Brauch. 11)
3. Durch den Anfall der Krone ist das Recht an der Staatsgewalt erworben. Ihm
entspricht die sittliche Pflicht und Gewissenspflicht des Königs, dem
ihm gewordenen Fürstenberuf getreulich nachzuleben. Dazu kommt die Rechts-
pflicht gemäß Verf.-Urk. § 4, diese Staatsgewalt auszuünben „unter den durch
die Verfassung festgesetzten Bestimmungen". Darin liegt von selbst
auch die Pflicht, diese Verfassung in allen ihren Bestimmungen aufrecht zu erhalten und
zu beschützen. Die Verfassungszusage nach § 138 meint also dem Umfange nach ganz die
gleiche Pflicht wie § 4. Die Pflicht ist nicht durch die Zusage begründet, sondern nur sitt-
lich verstärkt. Sie ist geschuldet dem sächsischen Volke, vertreten durch seine Stände.
Eine weitere Pflicht des Königs stellt Verf.-Urk. §5 auf: „Der König kann,
ohne Zustimmung der Stände, weder zugleich Oberhaupt
eines anderen Staates werden, Erbanfälle ausgenommen,
noch seinen wesentlichen Aufenthalt außerhalb Landes
nehmen". 12)
gezeichnet: „Das Gesamtministerium“, gibt den Text des am gleichen Tage abgelegten Versprechens
des Königs, der mit den Forderungen der Verfassung übereinstimmt, und bemerkt, diese Urkunde
sei „in doppelten Exemplaren ausgefertigt worden, wovon das eine Exemplar den beiden Kammer-
präsidenten der letzten Ständeversammlung ausgehändigt, das zweite Exemplar aber den Ober-
lausitzer Ständen zur Aufbewahrung im ständischen Archive übergeben worden ist“. — Der Re-
gierungsantritt ist hier in voller Rechtsgültigkeit zwei Tage vor dem Verfassungsgelöbnis erfolgt.
— Das zweite Exemplar für die Oberlausitzer Stände ist eine Altertümlichkeit. In dem Vertrage
vom 17. November 1835 wegen Durchführung der Verfassung in der Oberlausitz war den dortigen
Ständen versprochen worden, daß das Verfassungsgelöbnis sich auch auf die ihnen gemachten
besonderen Zusicherungen beziehen und daß sie jeweils ein Exemplar der darüber zu errichtenden
Urkunde erhalten sollten (§ 55 des Vertrags; vgl. auch oben, § 3, S. 8). Das Versprechen des Königs
ist also zunächst dem ganzen sächsischen Volke gegeben, mit Einschluß der Oberlausitzer, die beiden
Kammerpräsidenten erhalten es schriftlich für die Stände des ganzen Landes und für das hinter
diesen stehende ganze Volk. Das zweite Versprechen ist nicht etwa einem Teile dieses Volkes be-
sonders gegeben worden; die Oberlausitzer sind nie als ein Volk für sich gedacht worden. Sondern
hier sind es in der Tat von vornherein die alten Stände, die für sich verhandeln und stipulieren,
die in den jetzigen Provinzialständen mit verminderter Bedeutung fortbestehen, aber nach §# 60
des Vertrages gegebenen Falles in die alte Rechtsstellung wieder einrücken können. Ihnen wird
bei jedem Regierungswechsel vom König die alte Zusage förmlich erneuert. Als man 1834 dieses
Versprechen gab, wo man die selbstherrlichen Stände noch lebendig vor sich hatte, klang das na-
türlich ganz anders wie jetzt, wo kein Mensch mehr an die Auferstehung dieser Toten glaubt.
11) Die Erbhuldigung spielte im alten Rechte eine ganz andere Rolle; hier bedeutete
sie eigentlich erst die Besitzergreifung von dem Lehen und bei Mitbelehnschaft sicherte sie
das Recht auf künftigen Anfall. Die neuere Zeit hat sie nicht sofort aufgegeben, obwohl von einer
ernstlichen Bedeutung keine Rede mehr sein konnte und diese Massenvereidigungen unserem Gefühl
widersprechen. Milhauser, Staats-R. des Kgr. Sachsen 1839, führt die Erbhuldigung noch
als eine in Übung stehende Sache auf (1 S. 97). Jetzt ist sie verschwunden, wie in anderen Staaten
auch: v. Roenne= Zorn, Staats-R. der Preuß. Monarchie I S. 227, Seydel, Bayr.
Staats-R. 1 S. 201: „ist mit Recht als eine überflüssige Umständlichkeit außer Ubung gekommen.“
12) Eine entsprechende Bestimmung war in keinem der Entwürfe der Verfassung enthalten.
Erst in der Ständischen Schrift, den Verfassungsentwurf betr., vom 19. Juli 1831 wurde um Auf-
nahme eines besonderen Paragraphen gebeten, dessen Inhalt die Stände übereinstimmend mit