8 8. Die Verwaltungsrechtsquellen. 9]
gleichwohl auch für sie das Gewohnheitsrecht wie etwas Selbst-
verständliches ansehen, so ist dieses nur ein Beweis für die un-
geheure Macht der Gewohnheit ®,
Für die Verwaltung steht die Sache von Anfang an ganz
anders. Der Hunger nach Rechtssätzen liegt nicht in ihrer Natur.
Sie ist lange Zeit ihren Weg gegangen ohne alle. Der Rechtsstaat
erst will sie „möglichst“ mit solchen versehen, soweit es nämlich
vereinbar ist mit ihrer Art und Aufgabe!®. Er liefert sie ihr
durch sein Gesetz und die von diesem wieder ermächtigten Stellen
im wohlerwogenen Maße. Hier gibt es kein selbstverständliches
Recht der ausführenden Behörden, durch ihre Übung Lücken aus-
zufüllen; das wäre geradezu Anarchie. Wo gesetztes Recht fehlt,
da ist es so gewollt und soll so bleiben. Wenn kein gesetzlicher
Rechtssatz besteht, der die Behörde zu gewissen Eingriffen in
Freiheit und Eigentum ermächtigt, so darf nimmermehr die Ver-
waltung die nötigen Rechtssätze durch längere Übung sich selbst
beilegen wollen. Wo anderseits die zur Rechtssetzung berufenen
Stellen dem Beamtentum überlassen haben, nach pflichtgemäßem Er-
messen im Einzelfalle das Gute und Nützliche zu schaffen, da kann
es sich nicht unter irgendwoher genommene Regeln stellen, um
sich der Pflicht und Verantwortlichkeit zu entziehen.
Die Verwaltung hat ihre eigene vernünftige Ordnung, die der
Routine nicht zum Opfer fallen darf, weder der der Praxis noch
der der Theorie. Die Entstehung von Gewohnheitsrecht
in Widerspruch mit ihr muß als ausgeschlossen gelten!” —
15 B]. f. adm. Pr. 1871 S. 391; Mohl, Württ. St.R. I S. 76; Schulze
St.R. I S. 11; Bornhak, Preuß. St.R. I S. 98. — Ohne jeden Gedanken an die
Möglichkeit von Fragen, die hier auftauchen könnten, ist namentlich auch das
früher um seines Titels willen gern zitierte Buch: Lüders, das Gewohnheits-
recht auf dem Gebiet der Verwaltung, 1863.
18 Vgl. oben 8 5, III. Spiegel, V.R.Wiss. S. 187 Note 62, zieht daraus
den Schluß, ich dürfte das Gewohnheitsrecht für die Verwaltung nicht für un-
zulässig erklären, da es doch gewiß „möglich“ sei.
1? Ähnlich Grotefend, Pr. Verw.R. I S. 38 Note 1; Fleiner, Inst.
8. 76f.; Thoma, Polizeibefehl S. 108; Bräuer, in Arch. f. öff. R. XXI S. 540.
— Der Widerspruch, den diese Lehre erfahren hat, stützt sich im wesentlichen
immer nur auf Fälle der sogenannten Observanz, die ich ja auch meinerseits
gelten lasse. So Seidler, zur Lehre v. Gewohnbeits-R. S. 35 ff. (vgl. dazu Arch.
f. öff. R. XIV S. 132 ff); Stier-Somlo, Einwirkung S. 13lff.; Goez, Verw.
R.Pfl. in Württ. S. 159 ff. (die Beispiele, die er anführt, sind lauter Observanzen);
Anschütz in Preuß. Verw. Bi. XXII S. 86. Brie, in Wörterb. d. St. u.
Verw.R. II S. 200, der Seidler zustimmt, möchte einen Fall bringen, der nicht
unter die Observanz fiele, und beruft sich auf R.G. 16. Mai 1895 (Entsch.