Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

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Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. 
Die klare Beantwortung der Frage wird erschwert durch 
allerlei Nebenerscheinungen, die hier hereinragen. Es sind 
ihrer vornehmlich drei. 
Vor allem haben wir Verwaltungsgewohnheitsrecht über- 
kommen aus vorhergehenden Entwicklungsstufen. Der Polizei- 
staat behandelte mit Hilfe seines Fiskusbegriffes fast alle ver- 
mögensrechtlichen Beziehungen des Staates als zivilrechtlich (vgl. 
oben $ 4, III). Für das Zivilrecht floß aber damals die Quelle 
des Gewohnheitsrechtes noch stark genug. Die Ordnungen, die es 
erzeugte für allerlei Ansprüche gegen den Staat und für den 
Staat, haben dadurch nicht aufgehört zu gelten, daß wir sie jetzt 
samt. den Ansprüchen, die sie betreffen, für öffentlichrechtlicher 
Natur ansehen und daß sie jetzt durch Gewohnheitsrecht nicht 
neu entstehen könnten. Dieses ererbte Gewohnheitsrecht 
besteht fort als Öffentliches Gewohnheitsrecht, ähnlich wie die über- 
nommenen älteren Gesetze (vgl. oben n. 1), bis’ die lebhafte Tätig- 
keit unserer ordentlichen Verwaltungsrechtsquellen es nach und 
nach verdrängt !'®. — 
Sodann gehörte hierher ein Rechtsinstitut, das beansprucht, 
heute noch in Wirksamkeit zu stehen: die Observanz. Sie 
wird bezeichnet als eine Gewohnheit, welche sich ausgebildet hat 
innerhalb des Kreises der an dem Bestande einer Öffentlichen 
Einrichtung Beteiligten für ihre auf diese Gemeinschaft bezüglichen 
Verhältnisse !®. 
Die Observanz entstammt einer niederen Entwicklungsstufe 
des Gemeinlebens, wie sie besonders in ländlichen Verhältnissen 
sich darstellt. Was gemeinsamen Bedürfnissen dient, wird 
XXXV1l S. 179. Wenn aber dort eine Vorschrift der Hafenordnung dafür 
angesehen wurde, daß sie mit dem vor sieben Jahren erfolgten Umbau des 
Hafens „gegenstandslos geworden ist“, so ist die Bezeichnung Gewohnheitsrecht 
doch nur eine ganz überflüssige Verschönerung für das, was sich auch so ver- 
stände. 
In unserem Sinne unterscheidet O.V.G. 5. November 1908 (Entsch. LIIL 
S. 337) Kosten, die „den beteiligten Privatpersonen zur Last fallen“, wofür 
„Rechtssätze im Wege der gewohnheitsrechtlichen Übung entstehen können“ 
(Observanz), während „in Ausübung des Staatshoheitsrechtes vorzunehmende 
Handlungen nicht einen Gegenstand der gewohnheitsrechtlichen Übung bilden“. 
18 Als Beispiel diene der in R.G. 13. Januar 1883 (Entsch. XII S. 4) be- 
zeugte gemeinrechtliche Rechtssatz, wonach ein Entschädigungsanspruch gegen 
den Staat begründet ist bei Aufhebung wohlerworbener Rechte. 
19 0,Tr. 16. Dez. 1870 (Str. LXXX S. 179); 0.V.G. 29. Okt. 1887 (Entsch. 
XVI S. 292), 2. Juli 1896 (Entsch. XXX S. 297), 28. Nov. 1896 (XXXI S. 196), 
12. Mai 1905 (Entsch. XLVII S. 148), 24. Nov. 1905 (Entsch. XÄLVIII S. 213).
	        
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