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Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Die klare Beantwortung der Frage wird erschwert durch
allerlei Nebenerscheinungen, die hier hereinragen. Es sind
ihrer vornehmlich drei.
Vor allem haben wir Verwaltungsgewohnheitsrecht über-
kommen aus vorhergehenden Entwicklungsstufen. Der Polizei-
staat behandelte mit Hilfe seines Fiskusbegriffes fast alle ver-
mögensrechtlichen Beziehungen des Staates als zivilrechtlich (vgl.
oben $ 4, III). Für das Zivilrecht floß aber damals die Quelle
des Gewohnheitsrechtes noch stark genug. Die Ordnungen, die es
erzeugte für allerlei Ansprüche gegen den Staat und für den
Staat, haben dadurch nicht aufgehört zu gelten, daß wir sie jetzt
samt. den Ansprüchen, die sie betreffen, für öffentlichrechtlicher
Natur ansehen und daß sie jetzt durch Gewohnheitsrecht nicht
neu entstehen könnten. Dieses ererbte Gewohnheitsrecht
besteht fort als Öffentliches Gewohnheitsrecht, ähnlich wie die über-
nommenen älteren Gesetze (vgl. oben n. 1), bis’ die lebhafte Tätig-
keit unserer ordentlichen Verwaltungsrechtsquellen es nach und
nach verdrängt !'®. —
Sodann gehörte hierher ein Rechtsinstitut, das beansprucht,
heute noch in Wirksamkeit zu stehen: die Observanz. Sie
wird bezeichnet als eine Gewohnheit, welche sich ausgebildet hat
innerhalb des Kreises der an dem Bestande einer Öffentlichen
Einrichtung Beteiligten für ihre auf diese Gemeinschaft bezüglichen
Verhältnisse !®.
Die Observanz entstammt einer niederen Entwicklungsstufe
des Gemeinlebens, wie sie besonders in ländlichen Verhältnissen
sich darstellt. Was gemeinsamen Bedürfnissen dient, wird
XXXV1l S. 179. Wenn aber dort eine Vorschrift der Hafenordnung dafür
angesehen wurde, daß sie mit dem vor sieben Jahren erfolgten Umbau des
Hafens „gegenstandslos geworden ist“, so ist die Bezeichnung Gewohnheitsrecht
doch nur eine ganz überflüssige Verschönerung für das, was sich auch so ver-
stände.
In unserem Sinne unterscheidet O.V.G. 5. November 1908 (Entsch. LIIL
S. 337) Kosten, die „den beteiligten Privatpersonen zur Last fallen“, wofür
„Rechtssätze im Wege der gewohnheitsrechtlichen Übung entstehen können“
(Observanz), während „in Ausübung des Staatshoheitsrechtes vorzunehmende
Handlungen nicht einen Gegenstand der gewohnheitsrechtlichen Übung bilden“.
18 Als Beispiel diene der in R.G. 13. Januar 1883 (Entsch. XII S. 4) be-
zeugte gemeinrechtliche Rechtssatz, wonach ein Entschädigungsanspruch gegen
den Staat begründet ist bei Aufhebung wohlerworbener Rechte.
19 0,Tr. 16. Dez. 1870 (Str. LXXX S. 179); 0.V.G. 29. Okt. 1887 (Entsch.
XVI S. 292), 2. Juli 1896 (Entsch. XXX S. 297), 28. Nov. 1896 (XXXI S. 196),
12. Mai 1905 (Entsch. XLVII S. 148), 24. Nov. 1905 (Entsch. XÄLVIII S. 213).