$ 9. Der Verwaltungsakt. 95
des Rechts beteiligten Beamtentums. worin die Stärke der Justiz
besteht, machen sich hier Unabhängigkeitstriebe der reinen Ver-
waltungsbehörden geltend. Das Verwaltungsgericht behält immer
nur Recht für den einzelnen Fall?®,
89.
Der Verwaltungsakt.
Im Gegensatz zur vorausgehenden Entwicklungsstufe hat unser
Rechtsstaat nicht bloß die flutende Masse der Verwaltungstätigkeit
eingedämmt durch das Gesetz, sondern er läßt auch noch mitten
drin fort und fort feste Punkte auftauchen, welche dem Einzelnen
Halt gewähren und ihn darüber sicherstellen, wohin es geht. Die
Rechtseinrichtung, die das bewirkt, ist der Verwaltungsakt, ein
der Verwaltung zugehöriger obrigkeitlicher Aus-
spruch, der dem Untertanen im Einzelfall bestimmt,
was für ihn Rechtens sein soll’.
Sein Vorbild ist das gerichtliche Urteil. Es findet aber
bei diesem, wie es auch beim Gesetze geschah, eine Anpassung
statt, um es für die freie bewegliche Verwaltung verwendbar zu
machen, und eine Abstreifung der durch die besonderen Zwecke
der Justiz gegebenen Bestimmtheiten.
I. Nicht übernommen ist das eigentümliche Verfahren, aus
welchem das Justizurteil hervorgeht, der Prozeß mit allem, was
# Das Preuß. O.V.G. hatte unterm 8. Aug. 1876 ausgesprochen, daß es
rechtswidrig sei, eine Versammlung deshalb aufzulösen, weil die Redner sich
der polnischen Sprache bedienten. Die Polizei fuhr fort. Auf eine Inter-
pellation im Abg. Hause erklärte der Minister: das Erkenntnis des O.V.G. be-
ziehe sich natürlich nur auf den konkreten Fall (Sten. Ber. 1896/97 I S. 296,
297) Unterm 5. Okt. 1897 entschied das OVG. nochmals in jenem Sinn. Auf
eine neue Interpellation im Abg. Hause erklärte der Minister: „er warte ruhig
ab“ (Sten. Ber. 1902 V S. 5411, 5412), d. h. die Verwaltung blieb bei ihrem
Verfahren, bis sie bekanntlich im Reichsges. v. 19. April 1908 ihren Willen
durchsetzte. — Der Satz von Gierke, Deutsch. Priv.R. I S. 179 Note 10:
„Dagegen können natürlich nicht bloß die Zivilgerichte, sondern alle Gerichte
(mit Einschluß der Verwaltungsgerichte) ein materielles Gewohnheitsrecht er-
zeugen“, geht also in zweifacher Hinsicht zu weit.
! Über die Entwicklung dieses Begriffs vgl. oben $ 5, II. Es werden
immer noch Versuche gemacht, sich dagegen zu sträuben. So Bornhak, in
Verw.Arch. V S. 142 ff., der uns dafür eine ganz polizeistaatlich gedachte „tat-
sächliche Anordnung“ anpreist. Daß Kelsen, nachdem cr in seinem großen
Buch: Hauptprobleme der Staatsrechtsiehre 1911, den Unterschied zwischen
öffentlichem und Privatrecht beseitigt hat, nun auch den Verwaltungsakt ver-
wirft (Arch. f. öffl. R. XXXI S. 195), war vorauszusehn.