Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$S 18. Haftung für rechtswidrige Amtshandlungen. 195 
Einzelnen — gilt die Regel, daß der Vertreter, wenn das Recht des 
Geschäftsherrn zum Eingriff in die fremden Interessen zweifelhaft 
ist, sich des Eingriffes enthalten soll, oder er macht ihn auf eigene 
Gefahr, d. h. wird dem etwa rechtswidrig Geschädigten haftbar. 
Der Beamte hingegen, der berufen ist, an der öffentlichen 
Verwaltung mitzuwirken, obrigkeitliche Akte über die Einzelnen 
zu erlassen, Gewalt anzuwenden, die Vorteile öffentlicher Ein- 
richtungen und Anstalten zu gewähren oder zu versagen, muß 
sich entschließen, meist auch recht rasch entschließen; denn diese 
Dinge wollen ihren Gang gehen, besser schlecht als gar nicht. Der 
Grundsatz „in dubio abstine“ gilt nicht für ihn; vielmehr treibt 
ihn die Dienstpflicht in mehr oder weniger starkem Maße in ein 
Handeln auf das Geratewohl hinein. Der schädigende Irrtum, der 
menschlicherweise dabei mit unterläuft, ist ein amtlicher Irrtum, 
den ihm der Dienstherr nicht als Amtspflichtverletzung anrechnen 
darf und der folglich auch keine Haftung dem Dritten gegenüber 
für ihn begründet. 
Für die Beamten, die besonders stark der Möglichkeit aus- 
gesetzt sind, durch ihren Irrtum ihre Mitbürger zu schädigen, für 
die richterlichen Beamten in ihrer eigentlichen Spruch- 
tätigkeit, ist dies von jeher anerkannt und mit besonderer Schärfe 
zum Ausdruck gebracht worden. Die Grenzen der Haftbarmachung 
sind hier sehr enge gesteckt: nur die strafbare Handlung er- 
öffnet dazu die Möglichkeit'?, 
18 B.G.B. 8 839 Abs. 2 Satz 1. — Mot. zu I. Entw. II S. 824: „Der Spruch- 
richter darf der Gefahr nicht ausgesetzt sein, wegen irrtümlicher Auslegung 
des Gesetzes, wegen irriger Anwendung des letzteren usw. zur Verantwortung 
gezogen zu werden“ ... „Eine solche Gefahr raubt ihm schon die zur Aus- 
übung des Richteramtes nötige Unbefangenheit und macht ihn zu dieser Aus- 
übung ungeeignet“. Das Wort „Unbefangenheit“ trifft den entscheidenden 
Punkt. Der Richter, wie ihn der Staat haben will, wird ohne Kummer um 
die nicht ausbleibenden Irrtümer und Fehlgriffe seine Sache erledigen; der 
Mann, der sich, um ja nicht fahrlässig zu sein, in jeden einzelnen Fall ver- 
tieft, ist weniger geeignet. Geht es dabei recht menschlich zu, so handelt es 
sich doch hier, rechtlich genommen, gar nicht um eine „auf Fahrlässigkeit 
beruhende Pflichtverletzung“ oder überhaupt „Pflichtverletzung“, für die nur 
nicht gehaftet wird: der Staat verlangt ja nicht mehr. Wenn die Motive II 
S. 824 und ebenso der jetzige Text des $ 839 Abs. 2 den Ausdruck gebrauchen, 
so ist er im Sinne sonst üblichen Maßstabes verstanden, nach welchem es 
allerdings Pflichtverletzung wäre. Wo es auf diese unbefangene Entschluß- 
freudigkeit nicht abgesehen ist, tritt auch sofort wieder der strengere Maßstab 
für die Pflichtverletzung ein: $ 839 Abs. 2 Satz 2 (pflichtwidrige Verweigerung 
oder Verzögerung der Ausübung des Amtes). 
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