916 Die Polizeigewalt.
daß er auch die gute Ordnung des Gemeinwesens, in das er hinein-
gestellt ist, durch sein Verhalten stören dürfe; jeder hat vielmehr
die Pflicht, solche Störungen zu unterlassen!!,
Im Gegensatze zu den längst überwundenen allgemeinen
Pflichten, sich dem Wohle der anderen und des Ganzen dienstbar
machen zu lassen, hat diese Pflicht auch ihre berechenbaren und
nachprüfbaren Grenzen, und das macht sie verwendbar für recht-
liche Ordnungen.
So hat schon in der alten Staatsordnung der Landesherr, der
sonst seinen Behörden ihre Tätigkeit auf das genaueste reglemen-
tierte, gerade für diese eigentliche Polizei, die Sicherheitspolizei,
sie überall ausgerüstet gelassen mit einem weiten Spielraum zur
Machtbetätigung. Und für das gleiche Gebiet stehen auch hinter
den Ordnungen der Gegenwart jene vorausgesetzten Pflichten der
Untertanen. Nicht als ob sie von selbst und unmittelbar recht-
liche Wirksamkeit äußerten '*. Aber sie dienen dazu, alles hier
ıı Über den Einfluß solcher Anschauungen im älteren Recht: Blunt-
schli, Gesch. d. Allg. St.R. S. 223 ff.; Roscher, Gesch. d. Nat.Ök. S. 347;
Funke, in Ztschft. f. St.W. 1863 S. 528 ff.; Gierke, Althusius S. 298 ff. Vgl.
vor allem: Chr. v. Wolff, Jus nat. VIII 8 29; ders., Vernünft. Gedanken
v. d. geselischaftl. Leben 8 227; Jung, Lehrb. d. Staats-Polizeiwiss. (1788);
recht eigentümlich Kant, R.Lehre II Abschn. I Allg. Anm. A. — Aus der
Gegenwart: O.V.G. 5. Dez. 1881 (Entsch. VIII S. 330: Der Satz von den
polizeilichen Pflichten des Eigentümers ergibt sich auch ohne ausdrückliche
Hervorhebung durch ein Gesetz „ohne weiteres aus der Erwägung, daß ohne
ihn eine geordnete menschliche Gemeinschaft überhaupt nicht bestehen kann“);
10. Nov. 1880 (Entsch. VII S. 351); 12. Okt. 1889 (Entsch. XVIII S. 406);
28. Okt. 1896 (Entsch. XXX S. 216); R.G. 12. Nov. 1887 (Entsch. XIX S. 355);
Stier-Somlo, in Verw.Arch. VI S. 313; Jungel, Begr. d. Pol. im württ. R.
S. 94 fl. Von diesem Standpunkte aus wird jedes Gesetz, welches polizeiliche
Verpflichtungen bestimmt, zu einem Schutz der Freiheit, indem nun wenigstens
„aus allgemeinen polizeilichen Gründen“ (O.V.G. 10. Nov. 1887; Entsch. VIII
S. 318), „aus Gründen des öffentlichen Rechtes“ (0.V.G. 2. Jan. 1888; Entsch.
XV1 S. 326) ein Mehreres hier nicht gefordert werden kann. Zusammenfassend
Sächs. O.V.G. 20. Aug. 1904 (Jahrb. IH S. 63) und ihm folgend Sächs. Min.
d. J. 26. Nov. 1908 (Reger XXX S. 307): „das ungeschriebene Recht der staat-
lichen Polizeigewalt, zum Schutze von Leben und Gesundheit des Publikums
Anordnungen zu treffen, ist in Sachsen ein allgemeines und nur insoweit be-
schränkt, als besondere gesetzliche Bestimmungen eine Abweichung von diesen
Grundsätzen rechtfertigen.“
12? Jellinek, in Verw.Arch. V. S. 310, macht sich unnötig Sorge, ich
möchte das alte Naturrecht an die Stelle unseres positiven Rechtes setzen;
es bedeutet aber jedenfalls für unser positives Recht mehr als eine bloße ge-
schichtliche Vergangenheit, zu welcher er es macht. Unter seinem Einfluß
überschätzen auch Thoma, Polizeibef, S. 50, und Kitzinger, Verhinderung