Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$ 20. Grenzen der Polizeigewalt. 22] 
8 20. 
Grenzen der Polizeigewalt. 
Das ist das Besondere an unserem Gegenstande, daß hier die 
Machtbefugnisse der öffentlichen Gewalt unmittelbar 
sich bestimmen aus einem allgemeinen Gedanken heraus, 
aus der vorausgesetzten allgemeinen Untertanenpflicht. Indem die 
Verwaltungsrechtswissenschaft der Entfaltung dieses Gedankeus 
nachgeht und zeigt, wohin er führt und nur führt, ist sie hier 
ganz besonders berufen, zugleich eine Lehre von der bürger- 
lichen Freiheit zu sein. 
I. Was ist es, dessen Störungen der Einzelne von selbst zu 
vermeiden verpflichtet ist und was die Polizeigewalt vor solchen 
Störungen zu schützen hat? Wir haben es im Anschluß an den 
ursprünglichen Sinn des Wortes Polizei mit dem Worte „gute 
Ordnung des Gemeinwesens“ umfassen wollen. Dabei darf 
man nicht an unseren staatsrechtlichen Begriff des Gemeinwesens 
denken und an dessen Verfassung (oben S. 15), an den Staat 
also oder die Gemeinde. Es handelt sich eher um das Gemein- 
leben im Staate oder, wie man es gerne ausdrückt, um das Stück 
menschlicher Gesellschaft, über‘ welches dieser gesetzt ist!. 
Unter Gesellschaft versteht man dabei zunächst etwas Un- 
juristisches; es ist ein staatswissenschaftlicher Begriff und bedeutet 
die großen Lebensgemeinschaften, zu welchen Menschenmassen 
durch gemeinsame Kultur und ständigen Verkehr verbunden sind. 
Sie ist für uns von Wichtigkeit um der Wechselwirkungen willen, 
welche sie zwischen den in ihr begriffenen Einzelnen vermittelt: 
Nützliches wie Schädliches, was ihnen darin widerfährt, ist das 
umfaßt unter anderem die Erlaubnis für Maskenbälle und künstlerische 
Produktionen (n. 12), die Wohlfahrtspolizei die Vertilgung der Maikäfer und 
Raupen (n. 27) Leipzig bat seit einigen Jahren „Sicherheitsschutzleute“ und 
„Wohlfahrtsschutzleute“, jene unter dem Polizeidirektor, diese unter dem 
Stadtrat. 
1 Den Zusammenhang zwischen Polizei und bürgerlicher Gesellschaft hat 
besonders Hegel in seiner wuchtigen Weise aufgestellt und durchgeführt: 
Rechtsphilosophie 8 182 ff., 8 231 ff. Vgl. auch: Gneist, Rechtsstaat 8. 25; 
derselbe, Die nationalen Rechtsideen von den Ständen, durchweg; L. Stein, 
Der Begriff der Gesellschaft und die soz. Gesch. d. franz. Rev., I. Einl.; der- 
selbe, Handbuch d. Verw.Lehre S. 738 fl.; Roesler, Verw.R. I S. 2 fi.; 
Klöppel, Staat und Gesellschaft S.3 ff. G. Meyer-Anschütz, St.R. 
S. 11, 8. 645 Note, will nichts mit der „Gesellschaft“ zu tun haben, da sie 
„kein Rechtsbegriff“ sei. Aber gar manches, was selbst nicht Rechtsbegriff 
ist, kann zum besseren Verständnis unserer Rechtsbegriffe sehr nützlich sein.
	        
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