224 Die Polizeigewalt.
liebe, Treue gegen die geschichtlich überlieferten Ordnungen,
ästhetisches Feingefühl und Sinn für Kulturpflichten. Das bildet
alles einen Gemeinbesitz der Gesellschaft, in der es sich fort-
pflanzt und mehrt. Ebenso aber ist es gesellschaftlich verletzbar:
alles, was in die Gesellschaft hineingestellt wird, um diese Ge-
sinnungen und Gefühle gröblich zu verleugnen, mindert ihr An-
sehen und ihre Macht über die Gemüter und wirkt dadurch wert-
zerstörend. Damit scheint sich der Polizei ein wichtiges Feld der
Tätigkeit zu eröffnen. In der Tat hat sie in früheren Zeiten hier
Großes geleistet, zum Teil auch Wunderliches. Wir haben gelernt,
daß in diesen Dingen mit täppischem Dreinfahren viel geschadet
werden kann. Vor allem aber ist das eine klar: auf diesem Ge-
biete gibt es keinen festen allgemein einleuchtenden Maßstab für
das, was sich von selbst versteht als zu erzwingende Untertanen-
pflicht, kein Naturrecht. Wenn die umfassenden polizeilichen Er-
mächtigungen auch hierfür gelten sollten, so würde der Willkür
und dem Standesvorurteil Tür und Tor geöffnet sein *.
* Wo tatsächlich der Versuch gemacht wird, diesen geistigen Gütern mit
der allgemeinen Sicherheitspolizei beizuspringen, führt es zu merkwürdigen
Dingen. So mußte die christliche Religion sich gefallen lassen, bewahrt
zu werden als „ein Teil der öftentlichen Ordnung“ nach A.L.R. II, 17 8 10
(0.V.G. 19. Jan. 1908; Reger XXIV S. 3 u. Entsch. XLIII S. 300). — Dem
Bestattungsunternehmer wird die vorläufige Aufbewahrung verboten nach
A.L.R. II, 17 8 10: „Wahrung der Pietät gegenüber menschlichen Leichnamen
gehört zu den Aufgaben der Polizei“ (0.V.G. 5. März 1909; Reger XXX
S. 172). — Ein Trödler hat Urnen mit der Asche der Bankierseheleute A. aus
der Konkursmasse erworben und zum Verkauf gestellt; die Polizei darf sie
ihm wegnehmen nach A.L.R. Il, 17 $ 10, „insofern die dort unter den Schutz
der Polizei gestellte öffentliche Ordnung die öffentliche Sittlichkeit und den
öffentlichen Anstand mit begreift“ (0.V.G. 15. Febr. 1898; Entsch. XXXI1II
S. 446). — Zwei Liebesleuten wird verboten, sich in den beiderseitigen Woh-
nungen Besuche zu machen wegen darin liegender „öffentlicher Störung und
Gefährdung der Sittlichkeit“ (Sächs. O.V.G. 1. Nov. 1905; Reger AXAXVI
S. 568). — Ein Institut zur Anfertigung von Schulaufsätzen wird geschlossen
zur Beseitigung „eines unsittlichen Treibens, das die gute Ordnung des
Gemeinwesens in erheblichem Maße stört oder gefährdet“ (Sächs. 0.V.G. 25. Juli
1906; Reger XXVII S. 496). — Das gerichtliche Verfahren, wie es „unter der
Autorität des Staates ausgeübt wird“, auf die Bühne zu bringen, ist „mit
der öffentlichen Ordnung nicht vereinbar“ (O.V.G. 16. Dez. 1907; Reger AXVIU
8.485). — Die Autorität wird überhaupt mannigfach von der Polizei geschützt,
namentlich mit der Begründung, daß eine Irreführung des Publikums
zu verhüten sei. So wird vorgegangen gegen Führung eines auswärtigen Hof-
lieferantentitels (O.V.G. 23. Jan. 1908; Eintsch. LII S. 364), der Bezeichnung
„In Amerika approbierter Zahnarzt“, trotz gerichtlicher Freisprechung (O.V.G.
5. Okt. 1896; Entsch. XXX S. 331), der Bezeichnung „Kur- und Badeanstalt“,