220 Die Polizeigewalt.
Wie weit diese Freiheit des Privatlebens reicht, das ist in
erster Linie durch die Anschauungen, durch Sitte und Gewöhnung
bestimmt, ohne daß man deshalb von Gewohnheitsrecht reden dürfte.
Zum großen Teil fällt der Umfang des Privatlebens mit dem
derPrivatwohnung zusammen. Das meiste, was im geschlossenen
Hause geschieht, ist ungeeignet, darüber hinaus auf die Zustände
des Gemeinwesens zu wirken. Daher der scharfe Unterschied in
der Behandlung der nämlichen Dinge, je nach der Örtlichkeit.
Die lebensgefährlichsten Einrichtungen: unbefestigte Schränke,
einsturzdrohende Decken, grünspanhaltige Gefäße werden in der
Privatwohnung geduldet; der Blumentopf am Fenster, das Gefäß
im Verkaufsladen sind der Polizei unterworfen ®.
Aber auch das Innere des Hauses fällt mit seinen Ein-
richtungen unter den Einfluß der Polizei, soweit es einer Art
Verkehr fremder Personen zugänglich ist”.
Noch mehr ist das der Fall bei allen denjenigen Seiten des
häuslichen Lebens, welche ihrerseits geeignet sind, von selbst
nach außen zu wirken: Feuerpolizei vor allem und Gesundheits-
polizei haben sich mit solchen Dingen zu befassen.
2. Nicht jede Lebensäußerung, mit welcher der Einzelne diese
schwankende Grenze seines Privatlebens überschreitet und in einen
weiteren Kreis hineinstellt, was dort Schaden anrichten kann, ist
als polizeiwidrige Störung betrachtbar. In gewissem Maße be-
gleitet ihn seine Freiheit und sein Recht auch in
diesen äußerlichen Verkehr.
® 0.V.G. 18. Nov. 1878 (Min.Bl. 1879 S. 7): Der Eigentümer muß seinen
Bienenstand wegschaffen wegen eines in der Nähe befindlichen Feldweges; „es
genügt, daß der Bienenstand des Klägers außer dessen Hausgenossen auch
andere Menschen in ihren berechtigten Interessen belästigt und gefährdet“; die
Hausgenossen selbst würden polizeilich nicht geschützt, die gehören zum
Privatleben. — Einen berühmten Fall lieferte seinerzeit die Berliner Polizei-
verordnung gegen die Ofenklappen. R.G. 19. April 1881 und 10. Nov. 1881
(Entsch. St£f.S. IV S.110 und S. 111) hat sie gebilligt, allerdings mit recht un-
zulänglicher Begründung. Der richtige Gesichtspunkt wird wohl sein, daß die
Gefahren einer solchen ständigen Einrichtung im Großstadthause mit seiner
wechselnden Bewohnerschaft, die das alles ohne eigene Wahl mit übernimmt,
über das Privatleben hinausreichen.
? 0.V.G. 19. Sept. 1883 (Entsch. XII S. 393): Beleuchtung der Treppen in
einem Privathaus nach A.L.R. II, 17 8 10 vorzuschreiben, da wegen des großen
Verkehrs darauf zahlreiche Menschen gefährdet würden, „welche die Woh-
nungen nicht wählen, aber weil sie bewohnt sind, in dem Hause verkehren
müssen“. Die Treppe der Villa würde also Privatleben sein.