Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$ 20. Grenzen der Polizeigewalt. 231 
solcher verantwortlicher Lebenskreis nicht gegeben, handelt es 
sich z. B. lediglich um störende und zerstörende Wirkungen freier 
Naturkräfte, dann ist für die Anwendung der Polizeigewalt über- 
haupt kein Platz'®. 
Wohl verstanden: In allen Fällen kann der Verwaltung die 
rechtliche Möglichkeit gegeben sein, auch das polizeilich 
tadellose Mitglied der Gesellschaft heranzuziehen, um Mittel 
und Wege zu gewinnen zur Abwehr der Schädlichkeit. Enteignung, 
Eigentumsbeschränkung, Auferlegung von Lasten, Hilfen und 
Diensten stellt ihr das Gesetz dafür zur Verfügung gemäß den noch 
zu betrachtenden Rechtsinstituten. Nur eben Polizeigewalt ist das 
alles nicht, in der allgemeinen Pflicht, nicht zu stören, ist es nicht 
begriffen, und auf jene umfassenden polizeilichen Ermächtigungen, 
die der Rechtsstaat noch beibehalten hat, darf es sich nicht gründen 
wollen !®, 
2. Die Abwehr der Polizeigewalt darf den Pflichtigen auch 
nur erfassen soweit, als Störung von ihm ausgeht. Wo der 
erkennbare Wille eines Gesetzes auf schärferes Zugreifen geht, 
muß das selbstverständlich gelten. Aber im übrigen bleibt von 
der naturrechtlichen Grundlage her die Forderung der Ver- 
hältnismäßigkeit der Abwehr bestehen und bestimmt das 
Maß der als zulässig anzusehenden polizeilichen Kraftentwicklung. 
Das wird wieder rechtlich wirksam, wie alle diese Dinge, im Wege 
5. Sept. 1906 (Jahrb. IX S. 316). Die Polizeiwidrigkeit kann auch mehrere 
gleichwertige Ausgangspunkte haben, im Zusammenwirken oder hintereinander; 
dann hat die Polizeibehörde wieder die Wahl: 0.V.G. 27. Nov. 1899 (Entsch, 
XXXVI S. 400); 1. Okt. 1898 (XXXIV S. 432), 
15 0.V.G. 28. Okt. 1896 (Entsch. XXX 8. 216): Absturzdrohender Fels- 
block; der Eigentümer kann nicht polizeilich angehalten werden zur Be- 
seitigung der Gefahr; es handelt sich im wesentlichen um „elementare Vor- 
gänge“. Ähnlich Württ. V.G.H. 29. Juni 1902 (Jahrb. f. Württ. Rechtspfl. XIV 
S. 114). — Die polizeiliche Verantwortlichkeit des Eigentümers der Sache ist 
also keine unbedingte; diese muß gesellschaftliche Form bekommen haben. 
16 Man darf sich nicht irre machen lassen, wenn solche Dinge in gut 
altfränkischer Weise immer noch unter die Rubrik Polizei gebracht werden; 
daß dem belasteten Dritten in solchen Fällen eine selbstverständliche Ent- 
schädigung zugebilligt wird, ist der beste Beweis dafür, daß es sich nicht um 
seine polizeiliche Pflicht handelt: C.C.H. 12. Nov. 1881 (M.Bl. d. I. 1882 S. 5): 
der Landrat befiehlt, das Spülwasser in des Nachbars Rinne zu schütten, der 
dafür Entschädigung verlangen kann; O.V.G. 27, Sept. 1900 (Entsch. XXXVIH 
S. 448): polizeilich vorgeschriebenes Geländer der Treppe zum Schulhaus ragt 
in das Grundstück des Nachbars hinein, wofür dieser zu entschädigen ist. — 
Vgl. über diese Befehle zu Lasten Dritter unten $ 21, 8. 247.
	        
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