$ 1. Der Begriff der Verwaltung. 11
Verwaltung ist es endlich auch nicht, wenn in Ausnahmefällen
die bestehende Rechtsordnung um der höheren Forderungen des
Staatswohles willen durchbrochen wird. Die ältere Lehre hat uns
dafür den Begriff des Staatsnotrechts überliefert. Die Möglich-
keit derartiger formloser Gewaltmaßregeln ist auch im Verfassungs-
staate nicht ausgeschlossen; ob die Verantwortlichkeit dafür in
Anspruch zu nehmen wäre, das hinge von der heiklen Frage ab,
ob die „Staatsnot“ auch wirklich vorlag. Jedenfalls wäre es keine
Verwaltung, was da gemacht würde. Unsere deutschen Ver-
fassungen pflegen einen Ausweg zu geben durch Anerkennung
eines Notverordnungsrechtes, das in seinen Ansprüchen auf
den Grad der Not ziemlich bescheiden ist. Die Notverordnung,
weil sie die bestehende Rechtsordnung ausnahmsweise durchbricht,
gehört im Gegensatz zur Ausführungsverordnung und zur Polizei-
verordnung nicht zur Verwaltung; aber sie tut das verfassungs-
mäßig in vorläufiger Vertretung des Gesetzes, dessen vollen Wert
sie ja nachträglich erhalten soll; deshalb rechnet sie sich selbst
zur Kategorie der Gesetzgebung und nicht zu dem vierten Gebiet,
das wir hier behandeln !.
Laband, St.R. 4. Aufl. IV S. 34; Marschall v. Biberstein, Verantwort-
lichk. und Gegenzeichnung S. 76 ff. — Diesen Herrschaftsbereich der mili-
tärischen Befehlsgewalt umschließt dann die mancherlei sonstige staatliche
Tätigkeit zur Instandhaltung und Besorgung der großen Heeresanstalt, die
Militärverwaltung; da sie unter der Rechtsordnung steht, weder Justiz
noch Gesetzgebung ist, so führt sie wieder den Namen Verwaltung. Ihr wird
insbesondere auch die Militärgerichtsbarkeit zugerechnet; da ihr das der Justiz
wesentliche „subjektive Moment“ fehlt, ist das nur folgerichtig: Haenel,
St.R. IS. 472 fl.; Laband, St.R. 4. Aufl. IV S. 98, S. 107.
IT Zachariae, St.R. II S. 171. Pr. Verf. Urk. Art. 63: „Verordnungen
mit provisorischer Gesetzeskraft“; dazu v. Roenne, St.R.d. Pr. Mon. I 3.78:
„oktroyierte Gesetze“, S. 348: „außerordentliche Gesetzgebung“. Wo die Ver-
fassung solche nicht zuläßt, wird gleichwohl, meint Zachariae a. a. 0.
S. 172 Note 11, die Regierung „möglicher Weise in die Lage kommen, nach
der Regel ‚Not kennt kein Gebot‘ zu handeln“. Das würde aber dann nicht
mehr als Gesetzgebung bezeichnet werden können; es wäre einfach das alte
Staatsnotrecht, unserem vierten Gebiete zugehörig. Der Widerspruch, den
Stier-Somlo, Einwirkung S. 55, hier gegen meine Ausdehnung des vierten
Gebietes erheben zu müssen glaubt, trifft gar nicht dieses Staatsnotrecht,
sondern ausdrücklich nur die verfassungsrechtlich zugelassene Notverordnung,
die ich selbst nicht zum vierten Gebiete rechne. —
Dieses eigenartige Tätigkeitsgebiet hat bisher keine einheitliche Behand-
lung gefunden; es wäre erwünscht eine zusammenfassende Bezeichnung dafür
zu haben. Nach dem bisherigen Gang, den die Gestaltung unserer Ausdrucks-
weise genommen hat, wo von dem ursprünglichen Einheitsbegriff Regierung