Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

308 Die Polizeigewalt. 
Sittenvergehen, die Aufforderung zum Hochverrat, der grobe Unfug 
werden, wo es sein kann, durch unmittelbaren Zwang verhindert. 
Das wahrzunehmende Polizeigut ist ein geistiges, allgemeines, 
durch das Strafgesetz als solches hinreichend bestimmt (vgl. oben 
8 20 S. 221 f.). 
2. Nicht jeder rechtswidrige Angriff genügt also hier; das 
zivilrechtliche Unrecht zu bekämpfen, ist überhaupt nicht Aufgabe 
der Polizei (oben $ 20, II n. 3). Was sich verwirklichen will, 
muß eine strafbare Handlung vorstellen, so wie sie durch die 
Regeln des Strafrechts gekennzeichnet ist. Deliktsunfähigkeit, 
Exemtionen und besondere Strafausschließungsgründe schließen 
auch die Berechtigung zu der entsprechenden polizeilichen Gewalt- 
übung aus. Der Zeitpunkt, mit welchem diese zulässig wird, ist 
nach den strafrechtlichen Tatbestandsmerkmalen bestimmt: die be- 
stimmte Straftat muß begonnen haben oder wenigstens die Be- 
wegung an einem Punkte angelangt sein, daß sie unmittelbar 
bevorsteht !*, 
3. Bezüglich des Maßes der Gewalt und der Gewaltmittel: gilt 
das oben (I n. 3) zur Selbstverteidigung Gesagte!®. Doch hört 
14 Zu eng Edel, Bayr. Pol.Stf.G.B. S. 153, der mindestens einen straf- 
baren Versuch verlangt. Ähnlich Staudinger bei Dollmann, Bayr. Ges. 
gebung III, VII. S. 184 n. 4; Foerstemann, Pol.St. S. 411. Zu weit R.G. 
16. Nov. 1885 (Entsch. StfS. VII, S. 668): der Gendarm nimmt einem jungen 
Mann seinen Stock ab mit Rücksicht auf eine möglicherweise entstehende 
Schlägerei. Besser 0.V.G. 4. Okt. 1882 (Entsch. X, S. 376): im Wirtshaussaale 
will eine Schlägerei in Gang kommen, und der Polizeibeamte versperrt den 
Hineindrängenden die Türe. 
15 Bedenklich Bayr. Obst.G.H. 7. Jan. 1879 (Samml. IX, S. 29): Ein Fahr- 
mann läßt strafbarerweise sein Gefährt unbeaufsichtigt stehen; die Gendarmen 
holen ihn gewaltsam aus dem Wirtshaus und setzen ihn auf den Bock, damit 
er wegfahre. Aus solchen Gewaltanwendungen spricht eben oft mehr derber 
Humor als Rechtssinn. Zur Beseitigung der Polizeiwidrigkeit war bier ein 
eigenes Handeln des Fuhrmanns nicht unentbehrlich und zur Erzwingung 
dieses Handelns Jdie Gewalt kein zulässiges Mittel (oben 8. 296). — Der Grund- 
satz der Verhältnismäßigkeit kann auch noch zur Geltung kommen bei der 
Frage, ob neben dem unbedingten strafrechtlichen Vorgehen eine polizeiliche 
Verhinderungstätigkeit sich überhaupt notwendig macht: die Polizei bat 
eben hier ihren selbständigen Standpunkt. Das kommt zum Ausdruck in den 
Anempfehlungen an die zum Einschreiten berufenen Beamten, zuweilen ein 
Auge zuzudrücken: Edel, P.Stf.G.B. S. 180 ff.; v. Sutner, Bayr. Pol.Stf.G.B. 
zu Art. 20 Note 2. — Zu dieser Frage Kitzinger, Verhinderung stfb. Handl. 
S.122 ff. Die dort empfohlene Einschiebung einer besonderen „Rechtspolizei“ 
zwischen Verwaltungsrecht und Strafrecht dürfte aber wohl die Sache nicht 
klarer machen.
	        
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