344 Die Finanzgewalt.
die Nachveranlagung ausschlossen oder nur aus be-
stimmten Gründen zuließen. Wie weit sie darin gehen
wollen, steht in ihrem Ermessen. Die vorbehaltenen Fälle pflegen
solche. zu sein, bei denen umgekehrt die Billigkeit der Nach-
veranlagung einleuchtet; vor allem kommt in Betracht die rechts-
widrige Beeinflussung der Veranlagung durch den Steuerschuldner
selbst, der unrichtige Erklärungen abgab*®.
Hier macht sich dann die Bedeutsamkeit der Unterscheidung
von direkten und indirekten Steuern geltend. Für die letzteren
findet unser Rechtsinstitut keine Anwendung, weil ihnen der ver-
anlagende Verwaltungsakt fehlt, an den es anknüpft.
Aussprüche über das, was geschuldet ist, gibt es infolge von
Beschwerden oder Strafverfolgung auch hier®?; die können auch
bei der Erhebung der veranlagten direkten Steuer noch vor-
kommen. Aber jene eigentümliche Rechtsverwirkung findet dabei
nicht statt. Ist die Sache in ein Parteiverfahren gegangen, Ver-
waltungsrechtspflege oder Ziviljustiz, so kann die materielle Rechts-
kraft von Einfluß werden auf das vom Staat zu Fordernde; das
folgt den gewöhnlichen Regeln‘.
? Preuß. Ges. v. 18. Juni 1840 $ 10: Die Nachforderung von direkten
Steuern ist zulässig im Falle einer „Kontravention“. Am häufigsten war eine
Zeit lang die Formel, daß die Nachholung direkter Steuern nur für zulässig
erklärt wird 1. bei gänzlicher Übergehung; 2. bei einem Finanzdelikt. Preuß.
Ges. v. 18. Juni 1840 $ 6 und $ 10, für direkte Kommunalabgaben und Kreis-
abgaben noch gültig: O.V.G. 9. Jan. 1897 (Entsch. XXXI, S. 41), 8. März 1899
(Entsch. XXXV, S. 1); ebenso Bayr. Gewerb-, Kapitalrenten- und Einkommen-
steuer-Gesetze v. 10. Juni 1881 (Seydel, Bayr. St.R. II, S. 484). Preuß. Ein-
kommensteuerges. v. 24. Juni 1891 $ 80 (nur wegen neuer Tatsachen und Be-
weise: Ausf. Anweisung v. 6. Juli 1900 Art. 85 Ziff. 2 Abs. 4); Fuisting,
Kom. z. Eink.Steuer-Ges., zu$ 80 Anm.3B. Sächs. Eink.Steuer-Ges. v. 24. Juli
1900 8 77 („neue für die Besteuerung erhebliche Umstände tatsächlicher Art“:
Wachler, Kom. zu $ 77 Note 2—4); die grundsätzliche Unabänderlichkeit
der „Steuerveranlagung* wird sehr kräftig hervorgehoben in Sächs. 0.V.G.
18. Febr. 1904 (Jahrb. V, S. 191).
® Löbe, Deutsch. Zoll.Stf.R., zu $ 135 Ver.Zoll.Ges. Note 12.
* Der Mißbrauch des Wortes Rechtskraft stört auch hier. So hat Seydel,
Bayr. St.R. (1. Aufl.) IV, S. 201, die grundsätzliche Unabhängigkeit der Nach-
veranlagung allgemein auf die „Rechtskraft der Steuerfestsetzung“ zurück-
führen wollen; in der 2. Aufl. II, S. 485 hat er auf die daraus zu ziehenden
Folgerungen wieder verzichtet. — Sächs. O.V.G. 12. Dez. 1904 (Jahrb. VII,
S. 68) versagt die Nachholung zu wenig erhobener städtischer Besitzwechsel-
abgabe (indirekte Steuer!) wegen der grundsätzlichen Unergänzbarkeit einer
„rechtskräftig erfolgten Veranlagung“. Der Stadtkassierer, der überhaupt keine
Behörde ist, geschweige denn ein Verwaltungsgericht, hätte hier die rechts-
kraftfähige „Entschließung gefaßt“,