Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

30 Die Finanzgewalt. 
1. Es kann unter Umständen ein Steuererlaß stattfinden. 
Das bedeutet einen Verzicht des Staates auf gesetzmäßig für ihn 
begründete Rechte gegen den der Steuerauflage Unterworfenen. 
Er unterscheidet sich von der Steuerbefreiung, welche 
eine im Steuerrechtssatz selbst enthaltene Ausnahme von der 
Steuerauflage vorstellt. Hier bedarf es keines Verzichtes; ver- 
möge dieser Ausnahme wird eine Verpflichtung, die er tilgen 
könnte, überhaupt nicht erzeugt. 
Er unterscheidet sich von der Niederschlagung der als 
uneinbringlich angesehenen Steuerforderung; denn dies ist lediglich 
eine Ordnungsmaßregel des staatlichen Rechnungswesens, welche 
die Steuerpflicht selbst unberührt läßt. 
Wir nennen den Steuererlaß einen Verzicht, insofern der 
Staat hier vermöge einer darauf gerichteten Willenserklärung 
seiner Verwaltungsstelle tatsächlich den Steuerbetrag nicht er- 
hält, den er nach dem Gesetze erhalten sollte. Das kann auch 
teilweise geschehen; dann nennen wir es einen Steuernachlaß. 
Es kann dadurch verwirklicht werden, daß ein behördlicher 
Ausspruch dem Steuerpflichtigen gegenüber ergeht, der seine Pflicht 
oder Verpflichtbarkeit aufhebt oder vermindert; dann gleicht es 
dem Schulderlaß des bürgerlichen Rechts, nur daß hier ein Ver- 
trag, eine Annahme von Seiten des Befreiten nicht nötig ist: die 
einseitige Erklärung des Gläubigers genügt!‘ Der gleiche Er- 
folg kann auch dadurch herbeigeführt werden, daß die zuständige 
Behörde dienstliche Anordnung trifft, daß die ausführenden Ämter 
die zur Durchführung der Steuerpflicht erforderlichen Schritte 
unterbleiben lassen. Diese zweite Form bedeutet eigentlich keinen 
Erlaß und keinen Verzicht im Rechtssinne. Sie ist die unvoll- 
Vollzug aller Steuergesetze durch Steuererlaß durchbrechen dürfte: Laband, 
in Arch. f. öff. R. VII, S.190; Curtius, in Annalen 1893, S. 670 ff. Vor der 
Verfassung hatte der König dieses Recht zweifellos. Es ist aber unrichtig zu 
folgern, daß er es noch habe, weil in der Verfassung kein Artikel zu finden 
sei, der es ihm entzöge. Denn die Verfassung läßt dem König für sich allein 
nur die vollziehende Gewalt und bindet ihn an das mit dem Landtag zu er- 
lassende Gesetz, soweit nicht eine besondere Zuständigkeit begründet ist, auch 
dieses zu durchbrechen. Das ist nach Verf.Urk. Art.49 der Fall für Begnadi- 
gung in Strafsachen; für Steuersachen ist nichts dergleichen nachzuweisen. 
Vgl. auch Sächs. O0.V.G. 11. Jan. 1902 (Jahrb. I, S. 359). 
16 Im Gegensatze zu B.G.B. $ 397 wirkt hier die Willenserklärung des 
Gläubigers allein. Denn es ist ein Verwaltungsakt, der auch der Zustimmung 
des Betroffenen nicht bedarf, da er keinen Eingriff in Freiheit und Eigentum 
enthält; vgl. oben $ 9, II n. 1.
	        
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