Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$ 3l. Die Finanzstrafe. 379 
zeichnen will. Man nimmt also an, daß beiderlei Strafrechtssätze 
hier zusammentreffen. Die Finanzstrafe hat ihre eigene Bedeutung 
und Nützlichkeit; die kann nicht weichen. Dagegen soll nach der 
herrschenden Meinung eine Bestrafung wegen Betrugs überall nicht 
stattfinden, wo eine Hinterziehung in Frage kommt. Die übliche 
Begründung ist die, daß das Finanzstrafrecht ein Sonderrecht 
sei, als solches bestimmt und befähigt, für seinen Fall das ge- 
meine Recht zu ersetzen; die Hinterziehung müßte also angesehen 
werden als eine diesem Sonderrecht überlassene Unterart des 
Betruges, für welche eben dadurch die Anwendung von Stf.G.B. 
$ 263 ausgeschlossen wäre ®. 
Diese Auffassung ist unhaltbar. Die Hinterziehung kann des- 
halb nicht als Unterart des Betruges angesehen werden, weil für 
sie das diesem eigentümliche Element der rechtswidrigen Täuschung 
(„durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unter- 
drückuug wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält“) 
nicht begriftswesentlich ist. Es gibt vollwichtige Fälle der Hinter-. 
ziehung, in welchen der Täter mit dem, der getäuscht worden 
sein müßte, oder seinen Leuten überhaupt nicht in Berührung 
kommt!‘ Es gibt Fälle, in welchen eine unwahre Erklärung der 
Finanzverwaltung gegenüber zwar zur Hinterziehung gehört, aber 
nicht wegen des damit zu bewirkenden Irrtums — der Erklärende 
v Escher, Lehre v. strafb. Betrug S. 235; Meisel, in Finanz-Arch .V, 
S.57fl.; Schweiger, in Gerichtssaal XL, S. 401f.; Binding, StR. 1, 
S. 345; H. Meyer, Stf.R. $ 95 n. 10; v. Liszt, Stf.R. S. 664; Loebe, Zoll- 
Stf.R. S. 179; Olshausen, Stf.G.B. I, S. 16; Droste, in Verw.Arch. VIII, 
S. 424. R.G. 4. April 1881 (Entsch. Stf.S. III, S. 193); 13. Juli 1886 (Entsch. 
Stf.S. XIV, S. 293); 10. Nov. 1898 (Reger XIX, S.378). — R.G. 29. April 1899 
(Reger XIX, S. 440) erkennt die Lehre vom absorbierenden Spezialdelikt für 
den Fall von Krank.Vers.Ges. v. 1892 $ 81 nicht an, sondern straft hier un- 
bedenklich wegen gemeinen Betrugs. E.G. z. Stf.G.B. $ 2, worauf man sich 
gern beruft, will die besonderen Vorschriften über strafbare Verletzungen der 
Steuer- und Zollgesetze in Kraft bestehen lassen; damit ist aber doch nicht 
gesagt, daß diese auch das gemeine Betrugsrecht aufzehren sollen, und wenn 
dieser $2, wie Binding, Stf.R. I, S.294, 295, meint, eine „gesetzliche Fiktion“ 
bedeutet, daß die Strafbestimmungen der Zoll- und Steuergesetze keine „Materien“ 
betreffen, welche Gegenstand des Stf.G.B. sind — dann doch wohl erst recht nicht! 
10 Wechselstempelst.Ges. $ 15: Hinterziehung ist schlechthin die „Nicht- 
erfüllung der Verpflichtung zur Entrichtung der Stempelabgabe“; vgl. oben 
8 27, III n. 2. Ähnlich die Postdefraude durch Verletzung des Postzwanges, 
die Zolldefraudation durch Verwendung einer zollfrei abgelassenen Ware zu 
anderen Zwecken, als wozu sie begünstigt war; vgl. oben $ 29 Note 183. 
Haelschner. Stf.R. S. 1005.
	        
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