Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte. 27 
eine bedeutende Machtfülle gewonnen, die es über die Stellung 
des alten Stammeshauptes weit hinaus hob. Unter den Karolingern 
beginnt schon die Zersetzung. Das deutsche Kaisertum, obwohl 
28 ausdrücklich die Nachfolge beansprucht und hier und da- 
Anläufe nimmt, aus seinem Vorbild neue Kraft zu ziehen, wird 
ihm fremd und fremder, zugleich auch immer schwächer. Mit 
Ausgang des Mittelalters ist entschieden, daß der Schwer- 
punkt der staatlichen Entwicklung des deutschen Volkes in die 
Einzelländer verlegt ist. In diesen aber baut sich die Staatsgewalt 
auf ohne alle Anknüpfung an das Altertum, ohne Tradition. 
Mühsam und langsam sammelt sie sich aus allerlei Stücken, und 
in der deutlich ausgeprägten Gestalt eines solchen Sammelwerkes 
stellt sie sich uns zuerst dar. 
Es ist nicht der Staat, der den Untertanen da gegenüber- 
steht: dieses Abstraktum hält erst später seinen Einzug und 
äußert dann alsbald auch gewaltige Wirkung. Der Landesherr 
persönlich ist allein in Frage. Der Landesherr hat seine Rechte 
wie ein anderer Mensch. Er hat aber auch eine besondere Art 
von Rechten, die ihm eigentümlich sind, die ihn ausstatten sollen 
für seine Aufgabe, dem Gemeinwesen vorzustehen und dessen An- 
gelegenheiten zu führen. Sie heißen Hoheitsrechte, und ihre 
Gesamtheit bildet die Landeshoheit?., 
Diese Rechte sind nicht etwa, so wie wir jetzt von Rechten 
der Staatsgewalt reden, Entfaltungen einer großen, allgemeinen 
Machtstellung, sondern sie sind jedes besonders erworben, 
nach und nach auf verschiedene Titel. Anderseits können sie 
wieder durch Veräußerungen und Begründung von Gegenrechten 
verschiedentlich beschränkt sein. Deshalb hat von Ursprung an 
die Landeshoheit keineswegs überall den gleichen Umfang ®. 
Ihre Vervollkommnung und Ausgleichung empfing sie vor 
allem unter dem Einfluß der alles beherrschenden Ideen des Natur- 
rechts. Den Glauben an ein in den menschlichen Verhältnissen 
selber liegendes Recht hatte die Gelehrtenwelt von der Antike 
t Seckendorff, Fürstenstaat, add. $ 19 Ziff.4: „So hat sich nach und 
nach die Landesfürstliche Hoheit vergrößert und an vielen Orten ist ein 
Universal-Werck entstanden.® 
® Schmauß, compend. jur. publ. (1766) S. 312: „Es ist also heutzutage 
die Superioritas Territorialis ein Complexus aller derjenigen Rechte, die zur 
Regierung von Land und Leuten erforderlich.“ 
8 Eichhorn, Deutsch. Staats- und R.Gesch. II 8 299; Seckendorff 
Fürstenstaat, add. $ 19 Ziff. 7; Kreittmayr, Allg. St.R. 18 31.
	        
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