$ 4. Der Polizeistaat. 39
84.
Der Polizeistaat.
Wenn schon geraume Zeit vor dem gänzlichen Zusammenbruch
der Reichsgerichtsbarkeit die öffentliche Gewalt überall die alten
Rechtsschranken zu überfluten suchte, so geschah es unter dem
Antrieb mächtiger neuer Ideen, neuer Aufgaben, die sie sich stellte.
Die Polizei, welche dem Ganzen den Stempel gibt, wird zu
einer planmäßigen Bearbeitung des zur Verfügung stehenden
Menschenmaterials, um es einem großen Ziele entgegenzuführen !.
Die Staatsidee tritt in den Vordergrund; nicht für sich und
zur Geltendmachung eines ihm zustehenden Hoheitsrechtes nimmt
der Fürst das alles in Anspruch, sondern im Namen des Gemein-
wesens, das er vertritt®. Neben der Verneinung der bisherigen
Formen entwickeln sich aber auch schon wieder neue Ordnungen,
die hinüberleiten zu dem Rechte der Gegenwart.
I. Die schrankenlos gewordene öffentliche Gewalt wird aus-
geübt durch den Fürsten selbst und unter ihm in seinem Namen
und damit zugleich im Namen des Staats durch verschieden-
artiges Benmtentum. Der Machtanteil, der jedem zukommt, be-
stimmt sich wie folgt.
1. Der Fürst ist der eigentliche Träger der ungeheuren Auf-
gabe der Verfolgung des Staatszweckes. Wäre es nach Menschen-
natur möglich, so würde er alles allein tun. So aber bleibt
wenigstens der Grundsatz bestehen, daß kein Gegenstand staat-
licher Verwaltung seiner unmittelbaren Tätigkeit entzogen ist.
Wichtigere Dinge sind ihm vorbehalten, minder wichtiger bemächtigt
er sich, wie sie gerade seine Aufmerksamkeit erregen®.
I Christian v. Wolff (1679-1754) gilt als der „offizielle Staats-
philosoph“ Friedrichs des Großen. Seine hier einschlagenden Werke: Jus
naturae (9 Bde. 1740—1748) und: Vernünftige Gedanken von dem gesellschaft-
lichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen zur Be-
förderung der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts (4. Aufl. 1736), sind
mit ihrer ganzen Süßlichkeit von der Art des Preußischen Staatswesens weit
genug entfernt. Der wahre Prophet der neuen Verwaltung, namentlich der
preußischen, ist Justi, Grundsätze der Polizeiwissenschaft, 1756, wo schon in
der Vorrede ein bewußter Gegensatz zu Wolfts Verflachungen betont wird.
% Die berühmten Aussprüche: L’etat c'est moi (Ludwig XIV) und „Der
König ist der erste Diener des Staates“ (Friedrich der Große) sind in diesem
Sinne gleichwertig.
® Es ist bekannt, welch lebhaften Anteil Friedrich der Große an der
Polizeiverwaltung seiner Residenzstadt Potsdam genommen hat. Preuß,
Urkundenbuch zur Lebensgeschichte Friedrichs des Großen, gibt eine Saınm-