Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$ 4. Der Polizeistaat. 9 
Auf diese Weise wird die Fiskuslehre von großer Bedeutung 
für die Gestaltung des Rechts im Polizeistaate. Nichts leichter 
freilich, als die Grundidee, auf welcher sie beruht, von unserem 
heutigen Standpunkte aus wissenschaftlich zu bekämpfen. Damit 
wird die Tatsache nicht beseitigt, daß sie die Wirklichkeit unseres 
Rechtes lange Zeit hindurch beherrschte und unzweifelhaft große 
Dienste geleistet hat. Irgend etwas Willkürliches, Absonderliches 
haben am Ende alle Formen, in welchen menschliche Kunst die 
Stellung der Untertanen gegenüber der Staatsgewalt zu sichern 
gesucht hat, die französiche Formel der s¶tion des pouvoirs, 
die wir jetzt tatsächlich befolgen, nicht am mindesten. Unter 
diese Sicherungsmittel ist auch die Fiskuslehre zu rechnen. In der 
völligen Zerstörung der alten Formen war sie zunächst das einzige, 
das sich darbot®°, 
selbst nichts ausrichtet und der Fiskus nicht mehr tun kann als zahlen, so 
läuft alle Garantie der bürgerlichen Freiheit im Polizeistaate auf den Satz 
hinaus: dulde und liquidiere.. So die Abhandlung bei Klein, Annalen der 
Gesetzgebung II S. 15: „Ist es gut, daß die Justiz sich in alles mischt?“ Die 
Gerechtigkeit verlangt es. Inwiefern? Man darf nicht „den Staat auf Kosten 
seiner Glieder bereichern wollen“. Also immer nur die Geldfrage! Klüber, 
in Arch. f. d. neueste Gesetzgebung Bd. I S. 261, entwickelt den ganzen Stand- 
punkt mit einer gewissen Befriedigung: „Die Landeshoheit darf nicht anders 
als nach Rechtsgesetzen geübt werden“ (S. 287), d.h. der Souverän kann alles, 
„aber nur nicht ohne Entschädigung“; wenn der Fiskus für den Eingriff jedes- 
mal entschädigen muß, so hat man nach Rechtsgesetzen regiert (S. 292); da- 
gegen heißt „die Staatsgewalt nach Willkür ausüben“ nichts anderes als „durch 
Ausübung derselben Rechte des Privateigentums ohne vollständige Schadlos- 
haltung wesentlich verändern“. — Bornhak, Preuß. St.R. II S. 464, hat diese 
Rechtsordnung des Polizeistaats etwas derb, aber nicht unzutreffend gekenn- 
zeichnet, wenn er spricht von der „Tendenz der preußischen Gerichte, den Fis- 
kus als Privatrechtssubjekt zum allgemeinen Prügeljungen für den Staat zu 
machen“. 
50 Eine Ausnahmeerscheinung bietet in dieser Beziehung die Kurhessische 
Justiz. Das Ober-App.G. zu Kassel betrachtet sich als Rechtsnachfolger der 
Reichsgerichte für Klagen gegen den Landesherrn „ohne Unterschied der in 
dem Fürsten vereinigten juristischen Personen als Inhaber der Hoheitsrechte, 
als Vertreter des Fiskus“. Es hält fest an dem alten Satze: „daß aus jeder 
Regierungssache eine Justizsache werden kann“, sofern die Regierung dabei 
über „wohlerworbene Rechte“ hinwegschreiten will. Bis zum Jahre 1817 nimmt 
es gegen solche Regierungsakte Extrajudizialappellationen an, prüft überhaupt 
die Einbaltung der Schranken der landesherrlichen Hoheitsrechte, selbst wenn 
es sich um ein vom Landesherrn erlassenes Gesetz handelt. Pfeiffer, Prakt. 
Ausf. I S. 254, 258; 111 S. 441ff.; Bähr, Rechtsstaat S. 135 ff. Später tritt 
dann eine Wendung ein im Sinne der neuen verfassungsstaatlichen Theorien: 
das Gesetz selbst wird nicht mehr nachgeprüft auf seine Zulässigkeit, aber jede
	        
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