$ 5. Der Rechtsstaat. 63
Justiz entlehnten Ausdrücke nicht recht stimmen wollen, greift
man daneben auch zu den schon im Polizeistaat gern mißbrauchten
Bezeichnungen „lex specialis* und „privilegium“. Die amtlichen
Urkunden reden noch in vielerlei Zungen, von Verfügungen, Be-
schlüssen, Entschließungen, Dekreten, Resoluten, Reskripten usw.
Jedenfalls ist Tatsache, daß auch in unserer gewöhnlichen
Verwaltung, außerhalb der Verwaltungsrechtspflege also, sich immer
deutlicher ein Seitenstück des zivilgerichtlichen Urteils ausgeprägt
hat, ein verwaltungsbehördlicher Ausspruch, der für den Einzelfall
bestimmt, was Rechtens sein soll, bindend für das, was weiter
hier von der Verwaltung aus geschieht. Er bedeutet dasselbe,
was in der französischen Rechtssprache acte administratif heißt.
Das Wort Verwaltungsakt, dessen die deutsche Literatur
sich seit einigen Jahrzehnten bedient, ist nur die Übersetzung
davon !®, Wir verwenden es in dem gleichen Sinne für unsere
entsprechende Rechtserscheinung !®.
III. Was ist also unser gegenwärtiger Rechtsstaat? Es ist
gegliedert sei wie die Justiz in „l. Normengebung, 2. Rechtsprechung“; die
letztere braucht nicht ganz ein Urteil zu sein, aber doch etwas Verwandtes. Ähn-
lich Lehmayer, in Grünh. Ztschft. XII S. 221 ff. — Besonders kräftig wird
die urteilsartige Wirkung betont in der vonBernatzik, Rechtsprechung Iınd
materielle Rechtskraft (1886), vertretenen Lehre: Die „Entscheidung“ ist bei
der Verwaltung das, was bei der Justiz das Urteil (S. 8); an jede Entscheidung
knüpft sich die „materielle Rechtskraft“ (S. 129), worunter hier aber nicht das
bekannte prozeßrechtliche Institut verstanden wird, sondern eben nur jenes
„Bestimmen mit rechtlicher Wirkung für die Einzelnen wie für den Staat“, das
unserem Verwaltungsakt eigen ist; vgl. unten $ 16 Note 8.
16 Anfänglich, wo uns Jas französische Verwaltungsrecht noch nicht recht
vertraut war, hat man allerdings häufig jede Art von Geschäften der Ver-
waltung unter dem voller tönenden Wort verstanden, also das Beschottern der
Straßen, das Schulehalten, mit Einschluß wohl auch der eigenhändigen Ausübung
der Schuldisziplin. Hinterdrein wurde dann behauptet, der „klare Wortlaut“
begreife solche Dinge mit und es handle sich um „einen Begriff, der sich in
Deutschland selbständig entwickelt hat“ (G. Meyer-Anschütz, St.R. 8 117
Note 2; Jellinek, in Verw.Arch. V S. 306). Allein es handelt sich vielmehr
darum, daß man für den ganz banalen, keineswegs neuen oder ausschließlich
deutschen Begriff der einzelnen Verwaltungshandlung bisher eine fremdländische
Ausdrucksweise verwendet hatte, deren richtigen Sinn man nicht kannte.
16 Neuerdings verwendet man das Wort „Staatsakt“, um außer unserem
Verwaltungsakt noch andre obrigkeitliche Willensäußerungen zu begreifen, ins-
besondere das Urteil der ordentlichen Gerichte: Kormann, System der rechts-
geschäftl. Staatsakte S. 27; W. Jellinek, der fehlerhafte Staatsakt und seine
Wirkungen S. 17, S. 26fl. Die Verwandtschaft mit dem Urteil lassen wir
natürlich gern betonen. Aber für unseren Zweck komınen wir mit dem Ver-
waltungsakte aus.