Zweiter Abschnitt.
Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
86.
Die Herrschaft des Gesetzes.
Den Willen, der namens des Staates von der dazu verordneten
Stelle geäußert wird, nennen wir den Staatswillen. Er ist
ausgestattet mit der öffentlichen Gewalt, vermöge deren er den
Untertanen gegenüber als der rechtlich stärkere wirkt, sie über-
wiegt und bestimmt (vgl. oben S. 15). Diese Wirkungskraft
des Staatswillens ist nicht überall gleichartig und gleichwertig,
sondern den verschiedenen Ausgangspunkten verschieden
zugemessen. Jede Behördenart hat ihre besondere Ausstattung,
und die Kraft des Staatswillens wächst auf der höheren Behörden-
stufe. Darauf beruht die innere Ordnung der Staatsverwaltung !.
Die oberste Art von Staatswillen ist die, so da unter dem
Namen Gesetz ausgesprochen wird vom Staatsoberhaupt unter
Zustimmung der Volksvertretung. Den Namen hat diese staatliche
Willensäußerung erhalten von ihrer Bestimmung, Gesetze im Sinne
des älteren Staatsrechts zu liefern, also die Untertanen verbindende
Rechtssätze (vgl. oben $ 4, II. Die Eigenschaft eines ver-
fassungsmäßigen Gesetzes ist aber nicht davon bedingt, daß sein
Inhalt sich auch wirklich als ein Rechtssatz erweise. Es können
ı Im Gegensatz dazu Jellinek, Ges. und Verord. S. 249: Jede „Willens-
äußerung eines Staatsorgans“ ist gleich stark; der Staatswille „hat keine Grade
der Intensität“; „man kann nur entweder wollen oder nicht wollen“. Das ent-
spricht den psychologischen Formeln, welche die Organtheorie zum besseren
Verständnis der Gemeinwesen sich zurecht gemacht hat, aber nicht der Wirk-
lichkeit unserer Einrichtungen. Smend, Preuß. Verf.Urk. im Vergl. m. d.
belgischen S. 38 Note 1, will auf Grund von Jellineks Bemerkung ins-
besondere auch nicht mehr zugeben, daß man von einer besonderen Fähigkeit
des Gesetzes spreche, Rechtssätze zu machen.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 2. Aut. W)