$ 6. Die Herrschaft des Gesetzes. 69
steht Verordnungsrecht und Autonomie (vgl. unten $ 8
n. 2 und n. 3).
Die Art, wie dann der vom Gesetz selbst oder an seiner
Stelle erlassene Rechtssatz in der Verwaltung wirkt und seine
bindende Kraft über die vollziehende Gewalt entfaltet, wird unten
& 7 genauer zu betrachten sein.
2. Das Gesetz ist zugleich die rechtlich stärkste Art von
Staatswillen. Bei der Justiz, die ja nur dazu da ist, das Gesetz
anzuwenden und ihm zu dienen, scheint es unnötig, das noch be-
sonders zu sagen. In der Verwaltung aber begegnet das Gesetz
einem auf eignen Bahnen einhergehenden Staatswillen, der nicht
bloß dient, sondern selber herrscht, auch von „höchster Stelle“
aus, und selber frei bestimmen mag, was Rechtens sein soll und
was nicht. Hier tritt dann selbständig zutage, was dort still-
schweigend gilt: der in Form des Gesetzes geäußerte Staatswille
geht rechtlich jeder anderen staatlichen Willensäußerung vor; das
Gesetz kann nur wieder durch Gesetz aufgehoben werden, hebt
aber seinerseits alles auf, was ihm widerspräche. Das ist es, was
wir den Vorrang des Gesetzes nennen”.
Auch diese Kraft des Gesetzes ist als Wirkungsfähigkeit jedes-
mal von selbst gegeben mit seiner verfassungsgemäßen Erscheinung;
auch sie ist aber bedingt davon, daß der Inhalt des Gesetzes
geeignet sei, sie zur Wirkung gelangen zu lassen. Dazu braucht
er keinen Rechtssatz vorzustellen. Aber von einem rechtlichen
Vorrang kann nur die Rede sein, wo das Geäußerte überhaupt
rechtliche Bedeutung hat. Ist es eine bloße Lehrmeinung, so gibt
nicht vorher wirken. Aber nichts hindert, sie schon vorher zu erlassen: die
Übertragung wirkt innerhalb der staatlichen Ordnung sofort. Laband, St.R.
II S. 71, rechnet diese Erscheinung noch unter die „formelle Gesetzeskraft“
(was wir den Vorrang des Gesetzes nennen; vgl. unten Note 7) Aber mit dieser
haben wir es hier gar nicht zu tun, sie wird vom Gesetz weder übertragen,
noch ausgeübt; es handelt sich durchweg nur um seine rechtssatzschaffende
Kraft.
? Soauch Anschütz, in Kohler Enzykl.IV S.153. Dyroff, Rechtssatzung
und Ges. S. 77 u. 78, bezeichnet das als die „Bestandsgarantie“ und die „Gültig-
keitsgarantie“ der Gesetze. Laband, St.R. II S.68ff., nennt es die „formelle
Gesetzeskraft“. Ebenso Jellinek, Ges. und Verord. S. 249 ff.; Bornhak,
Preuß. St.R. (2. Aufl.) I S. 492. Damit soll angedeutet werden, daß diese Kraft
an die Form des Gesetzes, d. h. seine besondere Entstehungsart sich knüpft
und unabhängig ist vom Inhalt. Allein alle Wirkungskräfte des Gesetzes knüpfen
sich an die Tatsache seiner formgerechten Entstehung, und unabhängig vom
Inhalt ist keine.