Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

74 Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. 
Diese Wirkung knüpft sich von selbst an jedes Gesetz, das 
einen Eingriff in Freiheit und Eigentum enthält. Denn die voll- 
ziehende Gewalt ist ja vermöge der bindenden Kraft des Gesetzes 
rechtlich gehalten, es zu vollziehen, im Einzelfall seinen Willen 
genauer zu bestimmen und ihm die zwingende Tat zu leihen '®, 
Damit folgt sie ihm nun auch in das ihr sonst verbotene Gebiet 
hinein. 
Das Gesetz kann die Zulassung aber auch ausdrücklich 
aussprechen für gewisse Zwecke und Gegenstände und dabei den 
Behörden mehr oder weniger Spielraum lassen, um sich nach 
eigenem Ermessen zu betätigen. Das gibt dann die sogenannten 
gesetzlichen Ermächtigungen. Was die vollziehende Ge- 
walt auf Grund einer solchen Ermächtigung vornimmt, ist nichts, 
was sie nicht auch so tun könnte, wenn eben nur der Vorbehalt 
des Gesetzes sie nicht besonders davon ausgeschlossen hätte; denn 
auch sie ist Staatsgewalt und an sich fähig, dem Einzelnen nach 
jeder Richtung obrigkeitlich gegenüberzutreten ?. Ihr Vorgehen 
erhält durch die Ermächtigung nicht eine neue Kraft, sondern nur 
einen neuen Wirkungskreis. 
Mangels abweichender Regelung muß es dem Gesetze immer 
freistehen, auch auf dem vorbehaltenen Gebiete Bestimmungen für 
den Einzelfall zu treffen. Seiner Natur und der ihm zugedachten 
Aufgabe entspricht es aber, daß es auch hier vornehmlich in 
Mißverständnissen wird viel geleistet. Die aufgestellten Grundrechte, die doch nur 
den Vorbehalt geben wollen, werden am Maßstab der gewöhnlichen Gesetzgebung 
gemessen und müssen sich dann sagen lassen, daß sie nichts als „hochtönende*, 
„phrasenhafte“, „unperfekte“, „viel zu allgemein gehaltene“, „wertluse“ Sätze 
seien (Schulze, Preuß. St.R. bei Marquardsen S. 27 u.28; Treitschke, Politik 
S.165; Zornin Annalen 1889 S.352; G.Meyer-Anschütz, St.R. S.801; Giese, 
Grundrechte S. 18). Höchstens als eine Art vom Programm läßt man sie gelten, 
aus dem etwas Greifbares erst wird, wenn ein Gesetz kommt (das auf dem 
vorbehaltenen Gebiet bestimmende!) und sich der Sache annimmt; dann schafft 
dieses erst die Freiheitssicherung, und deshalb will man den Namen „Aus- 
führungsgesetz“ dafür verwenden (G. Meyer-Anschütz, St.R. S. 801; Giese, 
Grundrechte S. 99). In Wirklichkeit ist das Verhältnis ein ganz anderes. — 
Hier hat viel zur Verwirrung beigetragen, daß man die Übernahme von „Ge- 
setzen“ aus der Zeit vor der Verfassung nicht richtig gewürdigt hat; vgl. 
unten $ 8 n. ]. 
18 Vgl. unten $7n.1,8 9, IIn. 2. 
198 Der beste Beweis liegt darin, daß unter Umständen die gesetzliche 
Ermächtigung im Einzelfall ersetzt wird durch die Einwilligung des Be- 
troffenen; vgl. unten $ 9 Note 12. Der Akt wirkt auch dann gerade so, wie 
wenn der Vorbehalt nicht bestünde, aus eigener Kraft.
	        
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