Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

78 Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. 
ersteres die äußere, letzteres die innere Wirkung; der 
Rechtssatz in der Justiz hat immer beide Wirkungen zugleich. 
Der Verwaltungsrechtssatz bedeutet nun nichts anderes als 
die Übertragung dieser Form, rechtlich zu wirken, auf die Ver- 
waltung. Die Idee des Rechtssatzes muß sich dabei wieder freier 
und reicher entfalten als auf dem eintönigen Gebiete der Justiz. 
1. In der Justiz bedeutet die Zweiseitigkeit der bindenden 
Kraft des Gesetzes, daß es sowohl auf den Einzelnen wirkt als auf 
das Gericht; beide stehen unter dem Gesetze. Über diesen 
ganz allgemeinen Begriff geht aber die Gleichheit der Wirkung 
nicht hinaus. Man kann nicht sagen, daß das Gesetz für das 
Gericht auf dieselbe Weise maßgebend sei wie für den Ein- 
zelnen. Diesem befiehlt es, weist es sein rechtliches Schicksal an, 
ihm gibt es obrigkeitlich die Bedingungen seines Daseins, alles in 
der uns wohlvertrauten Art. Das Gericht aber ist ja selbst Träger 
obrigkeitlicher Gewalt; die viva vox legis, steht es auf der Seite 
des Gesetzes; seine Gewalt ist von der des Gesetzes nur durch die 
besondere Ausprägung und dem Grade nach verschieden. Es wird 
vom Gesetze nicht wie der Untertan beherrscht, sondern 
wie der untergeordnete Mitarbeiter geleitet. 
Das geschieht hier allerdings in sehr fester und genauer 
Weise. Das Gesetz enthält für jeden Einzelfall im voraus die 
volle Bestimmung dessen, was für ihn Rechtens sein soll. Was 
das Gericht noch zu tun hat, ist nur, daß es diesen Willen des 
Gesetzes finde und förmlich ausspreche. Es macht die Anwen- 
dung des Gesetzes. 
Das Verhältnis der Verwaltung zum Gesetz ist grundsätzlich 
das gleiche. Auch sie ist ihm Mitarbeiterin, Gehilfin, deren Tätig- 
keit von ihm gelenkt wird. Allein diese Lenkung kann hier nicht 
durchweg in so vollkommener Weise geschehen. Vielmehr zeigt 
sich bier eine Stufenfolge von der strengsten Gebundenheit bis zur 
freiesten Bewegung. 
Das Gesetz kann die Tätigkeit so genau bestimmen, wie bei 
der Justiz, so daß auch die Verwaltung nichts weiter zu tun hat, 
als ee anzuwenden auf den Einzelfall. 
Es kann in derselben Weise das, was geschieht, nach Art und 
Maß, genau bestimmen, aber der Verwaltung überlassen, nach den 
Umständen sich zu entschließen, ob das im Einzelfall von 
Staatswegen wirklich gewollt sein soll oder nicht. 
Es kann unvollständig bestimmen, derart, daß das, was 
Rechtens sein wird, erst noch ergänzt werden soll durch die
	        
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