Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsrechtssatzes. 81 
Gewalt, denn sie ist es, die in diesem Gegensatze sich dar- 
stellt. Wie die gesetzgebende Gewalt ausgestattet ist mit be- 
sonderen Eigenschaften und Vorzügen, namentlich mit der Fähig- 
keit, Rechtssätze zu schaffen (oben $ 6 n. 1), so ist die voll- 
ziehende Gewalt entsprechend ausgestattet mitder Eigenschaft, 
gebunden zu werden durch jeden Rechtssatz, in dem 
Sinne, daß sie gehalten ist zu seiner Vollziehung. Das kommt 
hier zur Wirksamkeit. 
Die vollziehende Gewalt ist allerdings selbst der Staat, wie 
das Gesetz auch, das sie bindet. Durch die Idee der Trennung 
der Gewalten wird dieses Ergebnis erst denkbar®. 
Der Rechtssatz wäre nicht gesichert, bände er nicht jedesmal 
die ganze vollziehende Gewalt. Alle Zuständigkeiten in Justiz 
und Verwaltung sind nur Stücke von ihr. So wirkt ihre Ge- 
bundenheit durch die ganze Kette, welche eine Sache durchlaufen 
mag, von unten aus bis hinauf zum Staatsoberhaupt. Keine Stelle, 
welche in ihrer Zuständigkeit damit in Berührung kommt, kann 
sich ihr entziehen ohne Rechtswidrigkeit°. 
  
  
8 Die ganze Herrschaft des Gesetzes hat ihre Spitze gegen die vollziehende 
Gewalt (vgl. oben $ 6 Eing.). Für den Vorbehalt und den Vorrang haben wir 
das schon genauer nachgewiesen ($ 6 n. 2 u. n. 3); für die Rechtssatzkraft be- 
kommt es hier seine Ergänzung. Dazu ist ja das kunstvolle Gebilde der 
Trennung der Gewalten erdacht und übernommen worden, um Ordnungen wie 
diese bindende Kraft des Gesetzes möglich und begreifbar zu machen. Hic 
Rhodus! So Thon, Rechtsnormen S. 141: „Erst die Verteilung der ver- 
schiedenen staatlichen Funktionen unter verschiedene Organe, insbesondere die 
Trennung der legislativen von der regierenden Gewalt, machen es möglich, daß 
dieser Willensentschluß, von bestimmten Organen des Staates gefaßt und ver- 
kündet, für den andern zur Ausführung berufenen Teil zugleich einen Im- 
perativ enthält.“ Vgl. Sarwey, Allg. Verw.R. S. 39. Auch bei Laband 
scheint dazwischen die Idee der vollziehenden Gewalt hier aufzudämmern, 
wenn er, St.R. II S. 68, als das, was durch Gesetz oder Gewohnheit so gebunden 
werden soll, daß die Anordnung „den Charakter des Rechtssatzes“ habe, be- 
zeichnet: „die Verwaltung als solche, d. h. den Staat in seiner verwaltenden 
Funktion“. 
®° Die Gebundenheit kommt natürlich nicht bei allen diesen Stellen der voll- 
ziehenden Gewalt gleichzeitig und gleichmäßig zum Vorschein, sondern je nach- 
dem sie ihrer Zuständigkeit nach mit dem Gesetz in Berührung kommen: die 
einen haben vielleicht gar nichts damit zu tun, die andern im Gegenteil sollen 
es vollziehen, wieder andere es wenigstens nicht durchkreuzen, wo in ihrer 
Zuständigkeit die Gelegenheit dazu gegeben wäre. Um letzteres handelte es 
sich in einem berühmt gewordenen Falle. Dem Preuß. Minister v. Lucius 
war durch einen Königlichen Gnadenakt die gesetzliche Stempelsteuer erlassen 
worden. Die Rechtsgültigkeit dieses Aktes war sehr zu bezweifeln. Aber nun 
erhob sich ein vergebliches Suchen nach Preußischen Verfassungsartikeln, die 
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 2. Aufl, 6
	        
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