82 Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Der Rechtssatz wirkt so, auch wenn er nicht vom Gesetz
selbst ausgeht. Wo ein Verordnungsrecht besteht, bindet die ver-
ordnende Stelle sich selbst; sie kann vielleicht ihre Verordnung
wieder aufheben, aber so lange diese besteht, ist sie gehalten,
ihren eigenen Rechtssatz zu vollziehen, und handelt rechtswidrig,
wenn sie davon abweicht!®. Noch mehr, auch die höhere Stelle,
mit Einschluß des Fürsten selbst, ist in der gleichen Weise ge-
bunden an den Verordnungsrechtssatz ihrer Untergebenen !!.
So erweist sich nach allen Seiten hin die vollziehende Gewalt
als die Einheit, welche die allgemeine Wirkung des Rechtssatzes
auch nach dieser inneren Seite vermittelt.
3. Die Zweiseitigkeit der Wirkung des Rechtssatzes läßt
diesen in der doppelten Richtung auseinandergehen, daß für den
getroffenen Untertan bestimmt wird, was für ihn Rechtens sein
soll, und zugleich die vollziehende Gewalt gebunden wird, in
entsprechender Weise mit ihm zu verfahren. Beides findet rück-
wärts seine Einheit im Gesetz, dessen Ausflüsse unmittelbar oder
mittelbar alle Rechtssätze sind, und folglich seine Gewähr in allen
staatlichen Mächten, die berufen sind, für das Gesetz einzutreten.
Dazu kommt aber noch als Abschluß des Ganzen, daß auch die
ihn verbieten sollten. Im Landtag berief man sich auf Art. 62; auch Art. 101
sollte zutreffen. Bornhak, in Arch. f. öff. R. VI S. 318ff., stützt sich auf
Art. 100, Jo&@l, in Annalen 1891 S. 417 ff., auf Art. 104. Laband, in Arch.
f. öff. R. VII S. 169, hat mit dieser ganzen Paragraphenjuristerei leichtes Spiel;
es kommt alles nur auf einen allgemeineren Grundsatz an, der da gilt, obwohl
die Verfassung ihn nicht ausdrücklich nennt: der konstitutionelle Monarch
kann danach nicht „eine bestimmte Wirkung, welche kraft der Rechtsordnung
an einen Tatbestand geknüpft wird, im einzelnen Falle durch einen Akt der
Staatsgewalt aufheben“ (S. 193, 194). In unserer Ausdrucksweise gesagt: auch er
unterliegt der bindenden Kraft des Rechtssatzes. Laband freilich rechtfertigt
nachher doch noch jenen Gnadenakt durch ein besonderes aus dem Absolutis-
mus herüber gerettetes Steuerbegnadigungsrecht. Das ist eine andere Frage;
vgl. unten $ 28, III Eing. u. n. 1.
10 0,V.G. 20. Dez. 1876 (Entsch. I S. 399), 27. Juni 1877 (Entsch. II S. 425):
worüber eine Behörde Polizeiverordnungen erlassen kann, kann sie auch Ver-
fügungen für den Einzelfall frei erlassen, aber nur, „so lange Vorschriften
solcher Art (Verordnungen) nicht ergangen sind“ — auch von ihr selbst
nicht. Vgl. auch Thoma, Polizeibefehl S. 75.
11 Der Rechtssatz selbst kann der Behörde, die ihn erließ, vorbehalten,
iın Einzelfall durch Erlaubnisse, Dispensationen davon zu entbinden: ebenso
kann das einer oberen Stelle vorbehalten sein. Das lockert dann die Gebunden-
heit, ohne den grundsätzlichen Standpunkt zu verrücken. Vgl. Seydel, Bayr.
St.R. Il S. 557, 508.