8 35. Das öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang. 101
klaren Wortlaut des Gesetzes zum Trotz abgestoßen zu werden
pflegen ®8,
Die Rechtsübung, die sich hier so kräftig betätigt, geht
auch ihrerseits keineswegs nach festen wissenschaftlichen Erkennt-
nissen vor. Wenn die Entscheidung mit Zitaten von allerhand
Lehrmeinungen geschmückt wird, so ist der Wert solcher Gelehr-
samkeitsbekundung nicht zu überschätzen: das Gefühl für das,
was sein soll, ist das eigentlich Maßgebende.
Gleichwohl kann man sagen, daß die Abgrenzung der Sachen,
die tatsächlich als öffentliche anerkannt werden, keineswegs eine
Frage des Ermessens ist, welches frei im Einzelfalle zu üben wäre.
Es hat sich vielmehr allmählich eine feste Auffassung heraus-
gebildet von den Dingen, die dazu gehören, eine herrschende
Meinung, die natürlich abweichende Stimmen nicht ausschließt.
Maßgebend für diese herrschende Auffassung sind gar verschieden-
artige Einflüsse geworden: neuzeitliche Gesetzesbestimmungen,
wenn auch, wie gesagt, nur mit Vorbehalt, einzelne Hinweise des
altrömischen Rechts, auch Erinnerungen an die alte Allmend
machen sich spürbar, wie nicht minder das kanonische Recht
mit seinen res sacrae. Ausdehnungsversuche nach Rechtsähnlich-
keit kommen hinzu. Das gibt alles Pendelschwingungen. Der
große Regulator ist immer jener Zweckmäßigkeitsgedanke: es läuft
alles darauf hinaus, daß der Sache eine Art von Unersetzlichkeit
beiwohnt, vermöge deren die öffentliche Verwaltung empfindlich ist
für ihr rechtliches Schicksal.
Danach ist es immerhin möglich, einen Katalog der in
unserem geltenden Rechte anerkannten Öffentlichen Sachen aufzu-
stellen. Daß die Grenzen nicht überall ganz scharf umrissen sind,
sondern gern mehr oder weniger fließen, ist eine notwendige Folge
des geschilderten allgemeinen Rechtszustandes ®°.
gen,
»® Code civ. art. 539 benennt als Bestandteil des „domaine public“ auch das
herrenlose Gut, art. >40 die aufgelassenen Festungswerke. Das wird gleichwohl
alles ganz unbedenklich als privatrechtliches Eigentum des Staates behandelt:
Theorie d. franz. Verw.R. S. 227; Demolombe, cours de code Nap. IX n. 458.
Umgekehrt besteht kein Zweifel, daß Festungswerke auch nach Preußischem Rechte
zu den öffentlichen Sachen gehören, obwohl das A.L.R. sie nicht nennt. Darüber
mit zutreffender Begründung O.Tr. 31. März 1863 (Strieth. LVII S. 92).
”* Nur um unbewegliche Sachen handelt es sich hier wie bei der Enteignung
(vgl. oben $ 33 Eing,): vilis mobilium possessio. Fleiner, Inst. S. 328, nennt
Auch „Stühle und Bänke auf einer öffentlichen Promenade“. Allein diese Promenade
selbst ist wohl richtiger nicht als öffentliche Sache anzusehen (vgl. unten $ 38),
und was da herumsteht, erst recht nicht. — Auch das Kriegsschiff (a. a. O. S. 337