3 33. Die Enteignung; Voraussetzungen und Verfahren. 7
jede ginge gegebenen Falles dazu über, selbst den Eingriff in das
Privateigentum zu machen, der dieses dem Untertanen entzöge,
um e8 ihrem Unternehmen zu widmen. So ist das auch früher ge-
handhabt worden, bevor die Enteignung in die festen Formen des
Verfassungs- ‘und Rechtsstaates gebracht war. Die neuen Ent-
eignungsgesetze aber haben dem Verfahren eine ganz besondere
Gestalt gegeben, für welche das französische Recht vorbildlich ge-
worden ist !!,
Die Besonderheit des Verfahrens besteht darin, daß die Ein-
heit des rechtsgeschäftlichen Willensaktes aufgehoben und ersetzt
ist durch ein Zusammenwirken mit verteilten Rollen.
Die obrigkeitliche Anordnung der Enteignung geschieht da-
nach gleichmäßig und allgemein durch die dafür ein für allemal
bestimmten Stellen, die Enteignungsbehörden. Die Besonder-
heit des öffentlichen Unternehmens, welchem die Enteignung dienen
soll, macht dabei keinen Unterschied; aus ällen Verwaltungszweige
laufen die Enteignungen bei diesen Behörden zusammen ’?.
Die Stellen, welche berufen sind, das beteiligte Öffentliche
Unternehmen zu vertreten, und von welchen sonst die dafür er
forderliche Enteignung selbst vorzunehmen wäre, werden durch diese
Einrichtung aus dem Enteignungsverfahren nicht gänzlich aus-
geschlossen; aber sie werden zurückgedrängt auf die Rolle eines
Antragstellers und betreibenden Teiles. Die Enteignungs-
behörde wird nur tätig auf Antrag des Vertreters des öffentlicher
Unternehmens und nach Maßgabe dieses Antrages.
. „Das Gesamtbild erinnert äußerlich stark an die Art, wie es
in der Justiz zugeht, und bereitet den Juristen eine Versuchung,
bei seiner Beurteilung in die altgewohnten Geleise einzubiegen.
Man denkt dabei an Rechtspflege und Rechtsprechung
" Franz. Ges. v. 8. März 1810. Auf diesen Zusammenhang verweist: Grün-
hut, Ent.R. S. 46; Seydel, Bayr. St.R. II S. 352.
% Die Gesetze bezeichnen als solche Enteignungsbehörden die Behörden der all.
gemeinen Landesverwaltung, ordentlichen Verwaltungsbehörden, und zwar meist die
der Mittelstufe. Wegen des Eingreifens eines Einzelgesetzes vgl. oben Note 7 u. 8.—
Das französische Gesetz vom 8. März 1810 hat das Bild noch verschärft durch
eine sehr eigentümliche Hereinziehung des bürgerlichen Gerichts: Die ordentliche
Verwaltungsbehörde, bei welcher das Verfahren stattfindet (Präfekt), erläßt, wenn
alles fertig ist, den Ausspruch nicht selbst, sondern legt die Sache dem Zivil-
gericht erster Instanz vor (Landgericht), damit dieses ihn als „jugement d’ex-
Propriation“ auf seinen Namen nehme. Das war von Napoleon nur als Blend-
werk gedacht: die Verwaltung soll das Odium nicht haben. Vgl. Theorie d. franz.
Verw.R. 8. 296 ff.